Die Sicht des Übersetzers
13 Oktober 2023

Interview mit Burkhart Kroeber, Übersetzer aus dem Italienischen ins Deutsche

Autor: Maddalena Fingerle

Interview mit Burkhart Kroeber, Übersetzer aus dem Italienischen ins Deutsche

Burkhart Kroeber (1940) ist einer der wichtigsten deutschsprachigen Übersetzer. Er hat u.a. Umberto Eco, Italo Calvino, Tomasi di Lampedusa, Carlo Fruttero und Franco Lucentini übersetzt. Im Jahr 2013 erhielt er für seine Arbeit als Übersetzer aus dem Italienischen ins Deutsche den Preis für sein Lebenswerk.

 

 

Wann und wie haben Sie angefangen, als Übersetzer zu arbeiten?

 

1971 entdeckte ich in einer französischen Zeitschrift einige Auszüge aus den 200 Tesi del Manifesto (200 Thesen des Manifests). Davon war ich so begeistert, dass ich mich entschloss, sie „für meine deutschen Kommilitonen“ zu übersetzen, allein und ohne Vertrag mit einem Verlag. Zunächst musste ich jedoch mein Italienisch verbessern, das damals noch sehr lückenhaft war. In dieser Zeit war ich auf der Suche nach einem neuen Job. Meine Karriere als Ägyptologe, einst mit dem Ziel Assistent des Professors zu werden, der meine Doktorarbeit betreut hatte, war durch mein Engagement in der 68er-Bewegung zunichte gemacht worden. Der Zufall wollte es, dass im Oktober 1971, wenige Tage nach Fertigstellung der Übersetzung, eine weitere Übersetzung der 200 Thesen im Berliner Merve Verlag erschien. Ich habe sie sorgfältig gelesen und fand sie schon auf den ersten Seiten fehlerhaft und insgesamt unbefriedigend. Daraufhin schrieb ich an den Verleger und habe ihn gebeten, sie durch meine zu ersetzen, aber mein Vorschlag wurde offensichtlich abgelehnt. Da die andere, von drei Leuten angefertigte Übersetzung sofort in allen linken Buchhandlungen erhältlich war, hatte ich keine Chance, einen Verleger für meine bis heute unveröffentlichte Übersetzung zu finden.
Zuerst war meine Motivation ja auch nur rein politisch, weil mich die 200 Thesen so beeindruckt hatten, aber im Laufe der Arbeit fand ich immer mehr Freude am Übersetzen, und als mir der Merve Verlag als Trostpflaster anbot, für ihn weitere Texte aus dem Italienischen zu übersetzen, habe ich gerne zugesagt, und so kam eins zum anderen…

 

 

Welche Autoren italienischer Sprache haben Sie dann beeinflusst?

 

Zunächst, in den 70er Jahren, politisch engagierte Intellektuelle wie Rossana Rossanda und Lucio Magri (Initiatoren und Hauptautoren der 200 Thesen des Manifests). Dann, ab 1980, Umberto Eco und Italo Calvino, später auch Franco Lucentini und Carlo Fruttero.

 

 

Gibt es Ihrer Meinung nach sprachliche Eigenheiten und Ausdrücke, die im Deutschen gut „funktionieren“, im Italienischen aber nicht adäquat wiedergegeben werden können? Wenn ja, welche Beispiele könnten Sie uns nennen?

 

Deutsche zusammengesetzte Substantive sind im Italienischen immer sehr schwierig wiederzugeben, angefangen bei gängigen Begriffen wie „Feuerwehr“ (vigili del fuoco), wörtlich ins Deutsche übersetzt „Wächter des Feuers“ bis hin zu originellen Kreationen wie „eisige, krähenschreiharte Morgenfrühe“ von Thomas Mann (im letzten Kapitel von Der Zauberberg, Unterkapitel Vingt et un), die im Italienischen eingehend analysiert werden müssen, wie es z. B. Renata Colorni in ihrer Übersetzung von 2010 getan hat: „…gelida nebbia dell’alba in cui risuona il grido delle cornacchie“.
Was das Italienische betrifft, müssen die italienischen Adjektive im Superlativ wie carissimo, bellissimo, grandissimo im Deutschen meist etwas nüchterner ausgedrückt werden. Auch „ecco“ ist immer schwierig, weil man es im Deutschen nie abkürzen kann (manchmal habe ich es durch „voilà“ ersetzt). Ich habe Ausdrücke wie „eccoci qua!“ immer gemocht.

 

 

Welches schwierigste Wort (oder welchen schwierigsten Ausdruck) haben Sie bisher übersetzt? Wer waren die Autoren?

 

Es gibt immer Wörter und Ausdrücke, die schwierig zu übersetzen sind, aber mir fallen keine Beispiele ein (außer „ecco“).
Der schwierigste Autor, den ich zu übersetzen hatte, war 1977 der marxistische Philosoph Galvano della Volpe, den mir der italienische Herausgeber der deutschen Ausgabe als den „italienischen Adorno“ vorstellte, mit seiner Kritik des Geschmacks, einer ästhetisch-philosophischen Untersuchung voller Textzitate aus allen Ländern und allen Epochen, oft sogar aus der Antike. Damals gab es noch kein Internet und man musste noch mühsam in der Bibliothek nach Informationen suchen. Das war Ende der 70er Jahre meine letzte Sachbuchübersetzung, ich war ausgelaugt, wollte nicht mehr übersetzen und bewarb mich (erfolgreich) als Sachbuchredakteur bei Hanser. Drei Jahre später kam Ecos Der Name der Rose zur Überarbeitung und Bewertung auf meinen Lektorentisch….

 

 

Gibt es unter Ihren Übersetzungen eine, die Ihnen besonders am Herzen liegt?

 

Von allen, die ich übersetzt habe, ist mein Lieblingsautor Italo Calvino. Besonders gern habe ich sein „Metanarrativ“ Wenn ein Reisender in einer Winternacht und Cosmicomics übersetzt, die ich 1989 in einer Rezension als sein literarisches Resümee, oder besser gesagt, als einen wahren Siegeszug bezeichnet habe.
Das Übersetzen hat mich nie gelangweilt, aber bestimmte Passagen in Ecos letzten beiden Romanen, Der Friedhof in Prag (2010) und noch mehr in Nullnummer (2015), haben mich gewundert oder sogar ein wenig irritiert.

 

 

Wie ist oder war Ihr Verhältnis zu den Autoren?

 

Zu Eco hatte ich über 30 Jahre lang ein sehr gutes Verhältnis, oft freundschaftlich und immer auf der Grundlage einer harmonischen Zusammenarbeit. In den letzten Jahren war er manchmal etwas mürrisch geworden, aber das lag wohl an der allgemeinen Situation und besonders an der Italiens (Berlusconi).
Mit Calvino habe ich nur zweimal kurz persönlich gesprochen. Das erste Mal 1984 in Wien, im Rahmen der Verleihung des Staatspreises für Europäische Literatur, und dann 1985 in Rom, sechs Monate vor seinem Tod. Bei beiden Gelegenheiten war er sehr freundlich, aber wir sprachen nur wenig über die Übersetzungen. Seine Texte waren immer so klar, dass ich nie irgendwelche Zweifel hatte oder ihm Fragen stellen musste.
Auch zu anderen Autoren, vor allem zu Carlo Fruttero und Franco Lucentini, hatte ich freundschaftliche Beziehungen. Ich habe beide in ihren jeweiligen Feriendomizilen besucht, Lucentini in Fontainebleau bei Paris und Fruttero in Castiglione della Pescaia in der Maremma – wo er mir unter anderem Calvinos Grabstätte am Meer zeigte, in einem cimetière marin à la Paul Valéry, für die sich Fruttero dank seiner guten Kontakte zur örtlichen Gemeinde und zu Calvinos Witwe eingesetzt hatte.
Ich hatte auch ein gutes Verhältnis zu Andrea De Carlo, als ich ihn übersetzte, und mit Roberto Cotroneo korrespondiere ich immer noch gelegentlich in einem freundschaftlichen und herzlichen Ton.

 

 

Hat sich Ihr Blick auf die Sprache verändert, seit Sie mit dem Übersetzen begonnen haben?

 

Mein Blick auf die Sprache ist natürlich im Laufe der Jahre immer kritischer, ja pedantischer geworden, und das gilt wahrscheinlich für jeden, der seit Jahrzehnten schreibt… Gleichzeitig hat sich die deutsche Sprache aber so sehr verändert, dass sie mir oft sogar fremd vorkommt. Als ich studiert habe, gab es, zumindest in der Alltagssprache, keine Verben wie „priorisieren“, „fokussieren“, „adressieren“, „sich gerieren“. Das Verb „priorisieren“ kommt im Fremdwörter-Duden von 1974 gar nicht vor. Heute richtet man nicht mehr „den Blick auf etwas“, sondern man „richtet den Fokus auf etwas“. Offenbar finden die jüngeren Redakteure meine Sprache manchmal etwas altmodisch oder veraltet und wollen sie deshalb korrigieren.

 

 

Haben Sie jemals Fehler bei der Übersetzung gemacht? Oder haben Sie Fehler in den Texten gefunden, die Sie übersetzt haben? Wenn ja, wie haben Sie darauf reagiert?

 

Jeder macht Fehler, das ist menschlich, aber mir fällt jetzt nur ein einziger ein, der mir sehr peinlich war, obwohl mein Autor Eco ihn zuerst gemacht hat und ich ihn nicht korrigiert habe. In einem Essay von 1982 hatte Eco das Zimmer des US-Präsidenten im Weißen Haus „Oval Room“ genannt, und ich hatte es nicht in „Oval Office“ korrigiert (obwohl der zuständige Redakteur das auch nicht getan hatte), weshalb diese falsche Bezeichnung immer noch im Buch steht und bei den Kritikern ironische Reaktionen hervorgerufen hat…

 

 

Gibt es ein Buch, das Sie gerne übersetzt hätten, aber keine Gelegenheit dazu bekommen haben?

 

Ich hätte gerne einige von Calvinos älteren Büchern neu übersetzt, zum Beispiel Zuletzt kommt der Rabe oder Der Tag eines Wahlhelfers oder die Trilogie Unsere Vorfahren (Der geteilte Visconte, Der Baron auf den Bäumen, Der Ritter, den es nicht gab). Leider hat mir der Hanser Verlag nach 20 Jahren Bitten und Anfragen erst 2007 sein Einverständnis gegeben, und auch nur für Die unsichtbaren Städte. Für dieses Werk wurde ich 2011 mit dem Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis ausgezeichnet.

 

 

Sollte sich Ihrer Meinung nach in der literarischen Welt etwas hinsichtlich der Arbeit von Übersetzern ändern?

 

Ja, es gibt viel zu verbessern, angefangen bei der Bezahlung, die immer noch sehr gering ist. Im besten Fall kann man davon leben (falls man gesund und fit ist), sofern man keine Familie zu ernähren hat. Nur wer das seltene Glück hat, einige echte Bestseller zu übersetzen und an deren Erfolg teilzuhaben, kann beruhigt auf seine Rente blicken. Auch die allgemeine Vertragssituation sollte verbessert werden, die objektiv gesehen immer noch die Verleger begünstigt, insbesondere die großen Verlagsgruppen, die in ihren Beziehungen zu den freiberuflichen Übersetzern das Recht des Stärkeren durchsetzen. Um die Dynamik zu ändern, sollten die Übersetzerverbände eine Klagebefugnis erhalten, so dass der Berufsverband bei Konflikten den Einzelnen vertreten kann. Dies wird uns jedoch seit Jahren verwehrt. Schließlich wäre es sinnvoll und angebracht, dass der Name des Übersetzers auf dem Buchumschlag unter dem Namen des Autors erscheint; einige kleinere Verlage tun dies bereits, die meisten größeren jedoch nicht.

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