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12 Dezember 2023

Auf dem Weg nach Frankfurt 2024
Interview mit Ludwig Paulmichl, Direktor des Folio Verlags

Autor: Maddalena Fingerle

<i>Auf dem Weg nach Frankfurt 2024</i> <br>Interview mit Ludwig Paulmichl, Direktor des Folio Verlags © Frieder Blickle-Folio

Ludwig Paulmichl (1960) hat Philosophie und Theatergeschichte in Wien und Rom studiert. In seinen frühen Jahren arbeitete er als Lektor für den Europa Verlag in Wien und Zürich. Er übersetzte Andrea Zanzotto (mit Donatella Capaldi und Peter Waterhouse) und Dario Fo aus dem Italienischen. 1994 gründete er den Folio Verlag mit Sitz in Wien und Bozen, der deutsche Übersetzungen italienischer Autoren wie Vincenzo Consolo, Pier Paolo Pasolini neben Andrea Zanzotto, Gianrico Carofiglio, Dacia Maraini, Chiara Gamberale und Valeria Parrella veröffentlicht hat.

 

Wann wurde der Folio Verlag gegründet und warum?

 

Das Folio Internationales Buchbüro wurde 1992 gegründet und ist ein Dienstleistungsunternehmen im Verlagsbereich. Wir haben Kataloge für zeitgenössische Kunstmuseen in Wien, Bozen, Innsbruck, Bücher für die Südtiroler Schulaufsicht, für landwirtschaftliche Zusammenschlüsse oder sogenannte Dorfbücher, also Bücher für Jubiläen von Südtiroler Gemeinden, produziert.

Folio hingegen, als eigentlicher Verlag, wurde mit dem Erscheinen des ersten Katalogs im Frühjahr 1994 geboren, mit Reise mit Wittgenstein in den Norden von David Hume Pinsent, Wittgensteins Reisebegleiter, mit Die unsichtbare Grenze von Eric Wolf und John Cole, ein anthropologisch-kulturelles Essay über die Unterschiede zwischen zwei geographisch nahen, aber historisch auf unterschiedliche politische Systeme ausgerichteten Gemeinden im Nonstal, die eine (Tret) orientiert sich nach Italien, die andere (St. Felix) nach Österreich oder der schöne Gedichtband Blumen von Peter Waterhouse (später in Italien bei Donzelli erschienen).

Mein Geschäftspartner Hermann Gummerer und ich kommen beide aus dem Kulturbereich. Gummerer leitete den Verein „Bücherwürmer Lana“, der die Kulturtage Lana organisierte, das erste Südtiroler Literaturfestival von internationalem Rang, zu dem auch die Verleihung des N. C. Kaser-Preises zu Ehren eines der interessantesten Südtiroler Gegenwartsdichter gehörte. Schließlich arbeitete Gummerer mit der Zeitschrift „Der Prokurist“ zusammen, die diese Initiativen dokumentierte und verbreitete.

Auch ich schrieb für verschiedene deutschsprachige Literaturzeitschriften, wie „Föhn“, „Sturzflüge“, „manuskripte“, „Wespennest“, „Verwendung“ und „Der Prokurist“. Zusammen mit Donatella Capaldi und Peter Waterhouse habe ich mehrere Gedichtbände von Andrea Zanzotto und Theaterstücke von Dario Fo übersetzt. Zudem war ich auch als Lektor für den Europa Verlag mit Niederlassungen in Wien und Zürich tätig.

Das Motiv für die Gründung des Verlags war einerseits der starke Wunsch, die provinzielle Südtiroler Kultur mit Büchern von europäischem Format zu bereichern, und andererseits, dank des Wiener Büros, am zeitgenössischen kulturellen Diskurs teilzunehmen, sowohl mit im Bereich Literatur als auch mit Kunstkatalogen.

Wir hatten damals den – leicht größenwahnsinnigen – Traum, am kulturellen Leben des gesamten deutschsprachigen Raums teilzuhaben, aber mit deutlicher Akzentuierung der Beziehungen zu allen Gebieten Europas.

 

Hat sich Ihr Blick auf die Literatur jetzt im Vergleich zu damals verändert? Wenn ja, auf welche Weise?

 

Von unseren Anfängen bis heute hat sich der Buchmarkt völlig verändert. Die Programme müssen, was die Literatur betrifft, in viel mehr Kategorien und „Zielgruppen“ unterteilt werden, sowohl um die Vertreter der großen Handelsketten zu überzeugen als auch um den Sprachniveaus der verschiedenen Lesergruppen zu entsprechen.

Das war in den 90er Jahren noch anders, als alles ein Werk der „perfectibilité“ im Sinne Rousseaus zu sein schien. Man glaubte, durch die Literatur das Bewusstsein der Leser zu schärfen und so eine bessere Welt schaffen zu können.

Wenn wir in den 90er, Anfang der 2000er Jahre Titel von Pier Paolo Pasolini oder Vincenzo Consolo zusammen mit den NoirRomanen von Giancarlo De Cataldo veröffentlicht haben, ist der heutige Markt für uns gespalten: auf der einen Seite Engagement, auf der anderen Seite Unterhaltung, engagierte Unterhaltung und Massenunterhaltung.

 

Lesen Sie auch zum Vergnügen oder nur für die Arbeit?

 

Ich würde gerne viel mehr zum persönlichen Vergnügen lesen, mich in die Klassiker der politischen Philosophie oder der Geschichtsschreibung vertiefen, z.B. die Naturrechtler oder die Annales-Historiker neu lesen. In letzter Zeit war ich jedoch sehr mit der Arbeit für den Verlag und der Bürde der Verwaltung beschäftigt.

 

Wie sieht Ihr typischer Tag aus (falls es einen solchen gibt)?

 

Ich stehe gegen 6 oder 6.30 Uhr auf, nach dem Frühstück, gegen 7.30 Uhr, beantworte ich E-Mails und versuche, die Arbeit des Tages zu organisieren. Gegen 9 Uhr gehe ich ins Büro (in Bozen oder Wien) und bleibe dort bis 16.30 oder 17 Uhr. Abends, meist nach 20 oder 20.30 Uhr, lese ich Manuskripte oder bearbeite Texte, bis 22/22.30 Uhr. An den Wochenenden versuche ich jedoch, Sport zu treiben, im Winter gehe ich Skifahren, da ich aus einem Bergdorf im Stilfserjoch komme, im Sommer gehe ich ein bisschen bergsteigen, und abends versuche ich, Dinge zu lesen, die nichts mit der Arbeit zu tun haben.

 

Sie schaffen es also auch zum Vergnügen zu lesen!

Worauf achten Sie, wenn Sie die Übersetzungsrechte an einem italienischen Roman erwerben? Was muss ein Buch oder ein Autor/eine Autorin haben, um Sie zu interessieren?

 

Schwer zu beantworten, das hängt vom Genre des Buches ab, ob es sich um einen Roman, einen Krimi oder etwas anderes handelt. Bei Krimis bevorzuge ich Geschichten mit einem realistisch-politischen Hintergrund, die jetzt seltener werden, denn im Moment werden Serienkrimis bevorzugt.

Da ich aus einer politisch sehr engagierten Generation stamme, mag ich „anspruchsvolle“ Erzählungen, andererseits fühle ich mich aber auch mit der österreichischen Tradition verbunden, die  von sprachlichen Experimenten und Verspieltheit geprägt ist, Eigenschaften, die ich in Italien immer seltener vorfinde. In Österreich haben wir uns an den Büchern der „Wiener Gruppe“ orientiert, in der sehr unterschiedlicher Autoren vertreten waren, darunter Ernst Jandl und Gerhard Rühm. Etwas Ähnliches könnte in Italien die Gruppe 63 sein, aber alle italienischen Dichter des 20. Jahrhunderts kennzeichnen sich durch ausgeprägte linguistische Studien, ich denke da natürlich an Andrea Zanzotto, aber auch an Pasolini oder Fortini.

 

Haben Sie jemals die Übersetzungsrechte eines Buches gekauft, das Sie nicht überzeugt hat, das Sie aber für verkaufsfähig hielten?

Natürlich, aber ich nenne keine Namen.☺

 

Ja, natürlich, das verstehe ich!

Gibt es ein Thema, das in deutschsprachigen Ländern funktioniert, aber nicht in den italienischsprachigen und umgekehrt?

 

Ich denke ja: Jeder nationale Markt hat seine eigenen Themen, die sich weder auf andere Märkte übertragen lassen noch die gleiche Wirkung haben. In letzter Zeit stelle ich zum Beispiel fest, dass Sachbücher zu Igbtq+-Themen in Deutschland viel stärker vertreten sind als in Italien. Auch die gesamte Literatur über Umwelt, Natur und Klimawandel ist in Italien – gemessen an der Zahl der Veröffentlichungen – viel später angekommen als in den nordeuropäischen Ländern. Vieles hängt dann auch von der Bedeutung des einzelnen Verlags ab, von seiner Fähigkeit, bestimmte Themen erfolgreich zu platzieren.

 

Gibt es ein Buch, das Sie gerne veröffentlicht hätten, das aber von einem anderen Verlag herausgegeben wurde?

 

Ja, es gibt viele Bücher, die mir entgehen, andere Verlage haben auch gute Lektoren. Erst vor einigen Monaten hätte ich gerne die Übersetzungsrechte für ein schönes und wichtiges Buch von Igiaba Scego gekauft: Cassandra a Mogadiscio, das aber bei S. Fischer erscheinen wird. Ich hoffe auf Deutsch wird es ein großer Erfolg!

<i>Auf dem Weg nach Frankfurt 2024</i> <br>Interview mit Ludwig Paulmichl, Direktor des Folio Verlags
© Frieder Blickle-Folio
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