Interview mit Andrea Palombi und Giulia Caminito (Nutrimenti Verlag)
Autor: Laura Pugno
Die neue Folge der newitalianbooks Interviewserie mit Verlagsleitern, Redakteuren und Verlegern italienischer Verlage widmet sich dem Verlag Nutrimenti und dessen Vertreter Andrea Palombi, Verlagsleiter und Präsident der Vereinigung unabhängiger Verlage ADEI sowie der international renommierten Autorin Giulia Caminito, die zusammen mit Alessandro Mari und Paolo Di Paolo die neue Literatur-Reihe „Greenwich Extra“ herausgibt.
Die Frage lautet wie immer:
„Wie würden Sie die italienischen Romane von Nutrimenti den Leserinnen und Lesern im Ausland beschreiben? Was haben sie für Merkmale und Stärken? Welche literarischen und anderen Buchvorschläge haben im Ausland am besten funktioniert und warum, Ihrer Meinung nach?“
Andrea Palombi.
„Die italienische Belletristik des 2001 in Rom gegründeten Verlags Nutrimenti ist seit jeher von dem Bestreben geprägt, zwei Zielen gerecht zu werden: neuen, jungen italienischen Autoren eine Stimme zu geben und Autoren, die unserer Meinung nach wichtige Meilensteine der italienischen Literaturforschung darstellen, aber zu schnell in Vergessenheit geraten sind, wieder ins Bewusstsein zu rufen.
Ganz allgemein war die Auswahl der Autoren und der zu veröffentlichenden Werke immer von dem Bemühen geprägt, keine bereits bekannten und bewährten Wege zu beschreiten, sondern stets Qualität in Verbindung mit Innovation und sprachlicher und struktureller Kreativität zu suchen.
In diesem Sinne ist zum Beispiel Malacrianza von Giovanni Greco zu erwähnen, ein erzählerisches Debüt, das 2012 in die engere Wahl für den Strega-Preis kam, aber auch den Calvino-Preis gewann, Finalist für die Viareggio, Palmi und Asti d’appello Preise war und auf eine alles andere als konventionelle Weise die weltweite Realität verleugneter Kindheiten schildert.
Zwischen 2011 und 2013 hat Nutrimenti den Schriftsteller Francesco Permunian wieder aufleben lassen, der nach einem brillanten Debüt in Vergessenheit zu geraten schien. Mit La casa del sollievo mentale und Il gabinetto del dottor Kafka (Gewinner des Volponi-Preises, Finalist des Bergamo-Preises) rückte Permunian wieder ins Blickfeld der italienischen Kritiker, so dass er in die von Andrea Cortellessa herausgegebene Anthologie I Narratori degli anni zero aufgenommen wurde, die die wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen italienischen Belletristik versammelt. Im selben Jahr, 2013, gewann Nutrimenti auch den Bagutta-Preis für das Erstlingswerk von Fabrizio Pasanisi, dessen Bert e il mago, eine brillante Betrachtung der parallelen Wege von Bertolt Brecht und Thomas Mann darstellt, die beide innerhalb weniger Wochen aus Nazi-Deutschland fliehen mussten. Ebenfalls 2013 veröffentlichte Nutrimenti den ersten Roman von Giovanni Cocco, La caduta, eine vielstimmige Darstellung der Krise des Westens, die für den Campiello-Preis nominiert wurde.
2014 erschien ein weiterer Debütroman, Breve trattato sulle coincidenze (Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall), mit dem Domenico Dara, dessen Schreiben den kalabrischen Dialekt mit der Hochsprache vermischt, in die italienische Literaturszene eintrat und Preisträger des Viadana-, des Corrado Alvaro-, des Città di Como- und des Palmi-Preises wurde. Ein Erfolg, der sich mit dem zweiten Titel desselben Autors, Appunti di meccanica celeste 2016 (Der Zirkus von Girifalco, Gewinner des Stresa und des Vincenzo Padula-Preises), fortsetzte. Beide Titel, deren Rechte in mehrere Länder verkauft wurden, waren auch in Deutschland außerordentlich erfolgreich.
Im Jahr 2015 hat Nutrimenti stattdessen einen unserer Meinung nach sehr bedeutenden Titel neu aufgelegt, der bereits bei einem großen Verlag erschienen ist, aber seit einiger Zeit nicht mehr im Buchhandel zu finden ist: Le variazioni Reinach von Filippo Tuena, dessen Neuauflage in diesen Tagen in den Buchläden erscheint. Vom selben Autor hat Nutrimenti 2012 bereits Stranieri alla terra veröffentlicht.
2016 debütierte der nicht mehr ganz so junge Autor Ezio Sinigaglia, dessen Roman Eclissi (Gewinner des Modus Legendi 2020) von der Kritik sehr gelobt wurde.
Unter den Autoren, die ihr Erstwerk bei Nutrimenti veröffentlichten, ist insbesondere auch Giacomo Verri zu erwähnen, der in Partigiano inverno (2012), das einzig mögliche Epos Italiens, das des Widerstands, mit einer Sprache voller lexikalischen Erfindungen kombinierte. Vom Widerstand und insbesondere den Kämpfen im Valsesia handelt auch sein zweiter Titel Un altro candore (2019), der mehr mit den aktuellen Ereignissen verbunden ist und bereits auf Niederländisch übersetzt wurde.
2020 war das Jahr eines weiteren erfolgreichen Debüts, denn Nutrimenti veröffentlichte den Roman Dieci storie quasi vere von Daniela Gambaro, der mit dem Campiello-Preis für das Erstlingswerk ausgezeichnet wurde. 2021 war Benedetta Palmieri nach zehnjähriger Pause wieder als Schriftstellerin tätig und veröffentlichte den Roman Emersione bei Nutrimenti, der als Kandidat für den Strega-Preis gelistet war. Im Jahr 2022 erschien Adrian Bravi ebenfalls bei Nutrimenti, ein Autor mit einer langen Verlagsgeschichte, der mit Verde Eldorado erneut eine brillante Reflexion über alle Menschen, die uns fremd scheinen und die Wurzeln unserer Kultur und Sprache vorlegte. Vom selben Autor wird im Februar 2024 der Roman Adelaida im Rahmen einer neuen, der italienischen Belletristik gewidmeten Reihe „Greenwich Extra“ herauskommen, die mit dem neuen Jahr das Licht der Welt erblicken und von einem Kollektiv bestehend aus Giulia Caminito, Paolo Di Paolo und Alessandro Mari herausgegeben wird. Ein wichtiges Vorhaben für Nutrimenti, um unter dem Banner von Qualität und Innovation neue Erzählmöglichkeiten zu erkunden und auf einen Scouting-Prozess zu setzen, für den sich gleich drei bekannte und geschätzte Autoren konfrontieren müssen.
Wenden wir uns nun an Giulia Caminito, die uns etwas über die neue Reihe „Greenwich Extra“ erzählen wird.
Die Reihe „Greenwich Extra“ wird ab Januar 2024 bei Nutrimenti italienische Literaturtexte präsentieren. Herausgeber der Reihe sind zwei Autoren und eine Autorin. Neben mir sind Paolo Di Paolo und Alessandro Mari beteiligt, beide etablierte Autoren, die sich schon immer in der Welt der Bücher und der Kultur engagiert haben. Unsere Idee ist es, unsere Kräfte, Vorlieben und Visionen zu vereinen und nach Romanen oder Sammlungen von Kurzgeschichten zu suchen, die eben nicht traditionell, sondern außergewöhnlich sind und deshalb als etwas Besonderes empfunden werden können. Die ersten drei Titel, die wir veröffentlichen werden, veranschaulichen das Konzept der Reihe besonders gut. Wir beginnen mit Le ciclopi von Manuela Piemonte – ihrem zweiten Werk nach ihrem ersten bei Rizzoli – eine Sammlung von Kurzgeschichten, die von zeitgenössischen Frauen erzählt, deren prekäres Leben sie dazu bringt, die Welt immer aus einer reduzierten und lückenhaften Perspektive zu betrachten, so dass es für sie scheinbar unmöglich ist, beide Augen zu öffnen und sich der Realität entgegenzustellen; dann Adelaida von Adrian Bravi, ein biografischer Roman, der von der faszinierenden und unbeugsamen Adelaide Gigli erzählt, einer italienisch-argentinischen Künstlerin, die die Jahre der Militanz und der politischen Verfolgung während der Militärdiktaturen durchlebte und zwei Kinder verlor, die vom Militär entführt und umgebracht wurden; Im März schließlich erscheint Sangue masticato, das Debüt des nur 25 Jahre alten Autors Francesco Aloia, der die Geschichte seines Großvaters erzählt, eines zwielichtigen, des Doppelmordes schuldigen Mannes, der jedoch in der Familie, insbesondere von den Frauen, verehrt wurde. Indem er davon erzählt, erzählt Aloia auch von sich selbst und dem Kampf, im Schatten einer unbequemen Figur aufzuwachsen, deren Erbe er antreten muss. Diese drei sehr unterschiedlichen Bücher verkörpern unsere Vorstellung von Fiktion: immer auf der Suche nach unterschiedlichen, seitlichen und unkonventionellen Perspektiven, um über die Gegenwart und die Vergangenheit zu sprechen, und zwar durch vielschichtige Frauen- und Männerfiguren.
Für das ausländische Publikum könnte die Reihe gerade deshalb interessant sein, weil sie nicht den ausgetretenen Pfaden der zeitgenössischen italienischen Produktion folgt, sondern versucht, neue Stimmen zu finden, die stark und unbefangen sind und auch mit großen Themen und Fragen jonglieren können.