Interview mit Emanuela Canali, Mitinhaberin der Literaturagentur Tizian & Canali
Autor: Paolo Grossi
Über welchen beruflichen Werdegang sind Sie zu der Entscheidung gekommen, Literaturagentin zu werden?
Für mich war es in der Tat eine Rückkehr zu den Wurzeln. Eine meiner ersten Berufserfahrungen habe ich bei der ALI gemacht, der Agenzia Letteraria Internazionale, die von Erich Linder gegründet wurde. Damals war es eine der ganz wenigen italienischen Literaturagenturen. Dann kam ich zu Adelphi und schließlich zu Mondadori, wo ich mich viele Jahre lang mit den Rechten italienischer Autoren und Autorinnen im Ausland beschäftigt habe.
Wie hat sich die Situation der Autor/-innen im Vergleich zu Ihren Anfangsjahren im Verlagswesen verändert? Früher hatten nur wenige Schreibende eine Agentur. Warum ist das heute nahezu unerlässlich?
Es stimmt: Im Unterschied zu den englischsprachigen Märkten, wo es undenkbar war, ohne Agentur zu arbeiten, war bei uns die Figur des Agenten oder der Agentin nicht so verbreitet. Die Situation hat sich inzwischen radikal verändert: Die Verlage werden zunehmend umstrukturiert und haben weniger internen Ressourcen für die Suche nach neuen Namen und die redaktionelle Arbeit. Ich erinnere mich, dass es bei Mondadori bis vor wenigen Jahren ein Büro für das Lesen und die Beurteilung von Manuskripten gab; dieses Büro hatte die spezifische Aufgabe, die zuständigen Lektor/-innen auf bemerkenswerte Manuskripte hinzuweisen und ungeeignete mit zwei höflichen Zeilen zurückzuweisen. Wenn man dann einen Autor oder eine Autorin in den Verlag nahm, war es Aufgabe eines Redakteurs, ihn oder sie beim Editing und der Vorbereitung des Textes zu betreuen.
Das ist es, was mich in diesen ersten Monaten meiner neuen Aufgabe am meisten beeindruckt hat: die schwindelerregende Zunahme der Angebote. Die Verringerung der internen Ressourcen hat daher neue Spielräume für Agenturen eröffnet, denen die Aufgabe überlassen bleibt, neue Namen in die Verlagswelt einzuführen, die wiederum von der Agentur wünscht, eine Art erste Auswahl vorzunehmen. Außerdem setzen sich immer mehr Agenturen durch, die dem Autor oder der Autorin beim Schreiben und Verfassen des Textes helfen.
Der Erfolg eines Schriftstellers oder einer Schriftstellerin in der Heimat schlägt sich nicht sofort in einem Erfolg jenseits der Grenzen nieder. Welcher „Typ“ verkauft sich nach Ihrer Erfahrung gut im Ausland? Stimmen, die stärker von ihrer nationalen Herkunft geprägt sind (also „italienischer“ sind) oder internationaler orientierte?
Eine gewisse „italienische“ Konnotation an der Grenze zum Folkloristischen (der Süden, gutes Essen, Liebe und Mandoline) kann noch einen gewissen Erfolg im Ausland hervorrufen, vor allem bei kommerzielleren Romanen. Ich erinnere mich aber, dass meine größten Erfolge bei Rechteverkäufen im Ausland zwei Namen waren, die von diesem Stereotyp weit entfernt sind: Paolo Giordano und Alba de Céspedes. In aller Welt wurde ihr unstrittiges Talent und die kraftvolle Authentizität der Stimme bei der Behandlung universeller Themen anerkannt (Probleme von Heranwachsenden beim ersten und die Situation der Frau bei der zweiten). Und sie wurden große Erfolge, obwohl der erste ein Debütant und die zweite eine fast vergessene Autorin der fünfziger Jahre war.
Welchen Raum nimmt in Ihrer Agentur die Suche nach neuen Stimmen ein, mit anderen Worten die Arbeit als Scout?
Die Suche nach neuen Autorinnen und Autoren ist ein lebenswichtiger Teil in der Arbeit einer Agentur, vor allem in dieser Zeit, in der die Beurteilung sich nicht immer nur auf die Qualität des Textes stützt und man einen Markt in großem Wandel berücksichtigen muss. Wir brauchen nur einmal auf die Rangfolgen zu blicken: Die Menschen wollen immer mehr fliehen, träumen, den Kopf frei bekommen, und das scheint einer der Gründe für den Erfolg von Romanen und leichter Sachliteratur zu sein. Die Pressearbeit wird nicht mehr über die früheren Kanäle gemacht, also von Pressebüros, sondern die sozialen Medien erhalten ein immer stärkeres Gewicht. Autor-/innen mit IG- oder TikTok-Profilen haben daher größere Verkaufschancen als traditionelle. Hinzu kommt, dass die Verlage mit steigender Aufmerksamkeit (tja, die Macht der Marketingbüros!) auf die Verkaufszahlen achten, und dass nur ganz wenige Bücher die Grenze von tausend verkauften Exemplaren übersteigen. Es ist daher unvermeidlich, immer mehr eine strenge, sorgfältige Auswahl zu treffen, um Werke zur Veröffentlichung zu bringen, die eine gewisse Chance haben, gesehen und gelesen zu werden. Wir wollen um Himmels willen nicht Schwarzsehen, aber ein größeres Bewusstsein ist zweifellos erforderlich.
Was halten Sie von den öffentlichen Subventionen für die Übersetzung von italienischen Büchern in andere Sprachen? (Ich beziehe mich im Einzelnen auf die Beiträge vom Außenministerium und die in jüngerer Zeit eingeführten vom Cepell, dem Zentrum für das Buch und das Lesen, einem Institut des Kulturministeriums).
Man kann die Bemühungen nur schätzen, die Italien in diesen letzten Jahren unternimmt, um sich allen europäischen Ländern anzupassen: Ich erinnere daran, dass diese in Bezug auf Unterstützung für Übersetzungen seit längerer Zeit ein erprobtes System unterhalten. Es scheint mir aber, das die italienischen Institutionen tatsächlich ein Bewusstsein für die Bedeutung der Subventionen für die Verbreitung italienischer Literatur in der Welt erlangt haben und sich entschlossener bewegen. Alle Initiativen in dieser Richtung sind also willkommen, und ich hoffe im Gegenteil auf noch größere Einigkeit und noch höhere Subventionen.