Zerocalcare und der italienische Comic im Palazzo Farnese. Interview mit Vincent Raynaud
Autor: Paolo Grossi

Der Lektor, Literaturübersetzer und Romanautor Vincent Raynaud wurde 1971 geboren und schloss ein Wirtschaftsstudium ab. Er war von 2005 bis 2017 bei Gallimard für italienische Literatur zuständig und gab insbesondere Bücher von Elena Ferrante, Erri De Luca, Alessandro Baricco und Roberto Saviano heraus. Seit Oktober 2022 ist er in der französischen Botschaft in Rom am Institut français Italie tätig, wo er sich um Bücher und Verlagswesen kümmert.
Wie lange arbeiten Sie schon am Institut français Italie und was ist Ihre Rolle dort?
Ich bin Übersetzer, Lektor und Schriftsteller. Dies ist meine erste Aufgabe für das Ausland am Institut français Italie an der französischen Botschaft, wo ich für Bücher und Verlagswesen zuständig bin. Ziel meiner Arbeit ist, das französische Buch zu fördern und Übersetzungen ins Italienische anzuregen – durch Zuschüsse, die Organisation von Veranstaltungen und die Verbreitung von Informationen bei französischen und italienischen Verlagen. Wir laden Autoren und Autorinnen, Journalist/-innen, Universitätsdozenten/-innen und Politiker/-innen in den Palazzo Farnese und in unsere anderen Niederlassungen in Italien ein, um über aktuelle Themen zu diskutieren – vom Krieg in der Ukraine bis zu den Olympiaden in Paris 2024 und Mailand/Cortina 2026.
Welche Projekte haben Sie in diesem ersten Jahr umgesetzt und welche Veranstaltungen sind für 2023/2024 geplant?
Am 15. März dieses Jahres fand im Palazzo Farnese das erste einer Reihe von Gesprächen über die Zukunft des Buches in Frankreich und Italien statt, Farnese à la page, mit Gästen aus ganz Europa und vier runden Tischen: zu den großen strukturellen Veränderungen der Branche, zu Übersetzungen der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux, zur Entwicklung der Literaturmessen und -festivals sowie zu Film- und Fernsehrechten. Zu den Referenten und Referentinnen gehörten Teresa Cremisi vom Verlag Adelphi, Elisabetta Sgarbi, Gründerin des Verlags La Nave di Teseo, und viele andere. Diese Begegnung wurde in Vorbereitung des Festival du Livre 2023 in Paris organisiert, bei dem Italien im vergangenen April Ehrengast war, und sie war ein großer Erfolg für die eingeladenen italienischen Autorinnen und Autoren. Am 4. Oktober findet ein zweites Event statt, an dem Michele Rech – Künstlername Zerocalcare – teilnimmt.
Können Sie uns von dem Auftritt von Zerocalcare erzählen?
Zerocalcare wird mit Catherine Meurisse sprechen, der erstrangigen französischen Illustratorin und langjährigen Mitarbeiterin von Charlie Hebdo. Mit ihnen wollen wir zwei Dimensionen erkunden: die intime Sphäre (wie sie in ihrer Arbeit von sich selbst erzählen, von ihrem Leben, von ihren Erfahrungen) und die breitere, ich würde sagen geopolitische (wie sie von der Welt, vom Krieg, den großen Veränderungen erzählen, die wir erleben). Zerocalcare erzählt uns von seinem Leben in Rebibbia, von seiner französischen Mutter, den Freunden, seinem Alltag, aber auch von seinen Erfahrungen im irakischen Kurdistan, wo er mehrfach war: ein faszinierender Augenzeugenbericht aus erster Hand. Auch Catherine Meurisse berichtet von ihrer Kindheit in einer unkonventionellen Familie, von ihren Erinnerungen, ihrer Lektüre und ihren Zeichnungen für die Presse (Charlie Hebdo, aber nicht nur), in denen sich sehr originell mit aktuellen Themen auseinandersetzt.
Warum sind Kinder- und Jugendliteratur, Comics, Graphic Novel und Manga so wichtig?
Das sind Bücher, die den Markt antreiben – schon vor der Pandemie. Es sind auch sehr kreative Genres, die junge Leser und Leserinnen anziehen, also die von morgen und übermorgen. Frankreich hat eine lange Tradition in diesem Bereich – einige längst historische Figuren hatten enormen Erfolg (Asterix, Tim und Struppi, Gaston). Es gibt in Frankreich auch spezielle betriebliche Strukturen, Gruppen, Verlage, Fachbuchhandlungen, Festivals … und viele italienische Illustratoren und Illustratorinnen arbeiten in Frankreich, wie Lorenzo Mattotti, Tanino Liberatore und viele andere. Bis vor ein paar Jahren war das italienische Verlagswesen nicht so ausgestattet, auch weil es ein anderer Markt ist, man bedenke nur, dass Comics hier seit jeher und bis heute am Zeitungskiosk verkauft werden. Etwas ändert sich inzwischen, und neben den unabhängigen Verlagen (Bao Publishing, Coconino Press) haben jetzt auch die Branchengrößen spezialisierte Marken. La Nave di Teseo hat zum Beispiel Oblomov, wo die Graphic Novel von Jean-Marc Jancovici und Christophe Blain über den Klimawandel erschien, ein großer Erfolg und Diskussionsgegenstand in Frankreich.
Wie können Frankreich und Italien in diesem Bereich zusammenarbeiten?
Wenn wir eventuelle Übernahmen unter Verlagshäusern beiseite lassen und im institutionellen Bereich bleiben, gibt es bereits einen intensiven Dialog über diese Themen mit dem AIE (dem Italienischen Verlegerverband), der eine eigenen Kommission für Comics hat. Wir möchten auch mit französischen und italienischen Grafikschulen zusammenarbeiten und über die Ausbildung und berufliche Möglichkeiten nachdenken. Das Buchgewerbe generell und insbesondere Arbeiten für Comics sind echte Berufe mit einer Satzung, einem Einkommen und Perspektiven. Die Entwicklung ist stark, und wir werden auch im Frühjahr darüber sprechen, bei der zweiten Veranstaltungsreihe Farnese à la page, die wir zu den Themen Verlagswesen und Buchgewerbe organisieren.
