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20 November 2024

Aus Stockholm: ein Interview mit Johanna Hedenberg, Übersetzerin aus dem Italienischen ins Schwedische

Autor: Paolo Grossi

Aus Stockholm: ein Interview mit Johanna Hedenberg, Übersetzerin aus dem Italienischen ins Schwedische ® Håkan Lindgren

Johanna Hedenberg (1968) studierte Literatur und Sprachen: skandinavische Sprachen, Französisch, Italienisch, Spanisch und Niederländisch. Von 1996 bis 2009 arbeitete sie als Übersetzerin in den europäischen Institutionen in Luxemburg und Brüssel. Seit 2009 ist sie Literaturübersetzerin aus dem Italienischen und in geringerem Umfang auch aus dem Französischen und Niederländischen. Zu den übersetzten Autorinnen und Autoren gehören Silvia Avallone, Giorgio Bassani, Italo Calvino, Claudia Durastanti, Elena Ferrante, Natalia Ginzburg und Leonardo Sciascia.

 

 

Wie sind Sie Übersetzerin geworden? Und wie kommt es, dass Ihre Übersetzerarbeit sich besonders auf Italienisch konzentriert?

 

Literatur und Sprachen haben mich immer interessiert. Schon im Gymnasium dachte ich an diesen Beruf, und ich hatte die Chance, meine erste Übersetzung eines französischen Buches Anfang der 90er Jahre zu machen. Meine erste Sprache als Übersetzerin war also Französisch, aber bei einer Reise durch Italien habe ich mich auch für diese Sprache begeistert. Nachdem ich dann Italienisch studiert hatte, begann ich auch aus dem Italienischen zu übersetzen. Als ich nach vielen Jahren als Übersetzerin in den europäischen Institutionen die Literaturübersetzung wieder aufnahm, wurde Italienisch zur Hauptsprache.

 

 

Wie sehen Sie das derzeitige Verhältnis der schwedischen Verlage zum italienischen Buch? Hat sich in den letzten Jahren etwas geändert? Wird mehr übersetzt? Weniger? Kennen die schwedischen Verlage die Realität des italienischen Buchs näher?

 

Ich habe den Eindruck, dass das Interesse für italienische Literatur nach dem so genannten „Elena-Ferrante-Fieber“ zugenommen hat. In den letzten Jahren wurden vor allem Schriftstellerinnen übersetzt (u.a. Viola Ardone, Rosa Ventrella und Donatella Di Pietrantonio). Jetzt ist diese Tendenz etwas zurückgegangen. Dagegen bemerke ich ein steigendes Interesse für die italienischen Klassiker des 20. Jahrhunderts. Ich selbst hatte die Chance, in wenigen Jahren Romane von Natalia Ginzburg, Leonardo Sciascia und Alba de Céspedes neu zu übersetzen. Allerdings scheint mir, dass schwedische Verlage häufig auf die englischsprachige Länder schauen, was Neuübersetzungen oder „Entdeckungen“ von Autorinnen und Autoren der Vergangenheit angeht, manchmal auch bei aktuellen Namen, d.h. sie folgen dem, was in den USA oder Großbritannien geschieht, anstatt eine eigene, unabhängige Linie zu haben. Leider scheint die Kenntnis der Sprachen und Literaturen der „nicht englischsprachigen“ Welt im Verlagswesen abgenommen zu haben.

 

 

Sie haben Werke von italienischen Klassikern des 20. Jahrhunderts übersetzt, u.a. von Giuseppe Dessí, Giorgio Bassani, Italo Calvino, Natalia Ginzburg, Leonardo Sciascia, aber auch Texte von zeitgenössischen Autorinnen wie Margaret Mazzantini, Silvia Avallone, Elena Ferrante, Chiara Valerio und anderen. Wie denken Sie über die italienische Literatur in unserer Zeit?

 

Für mich ist die heutige italienische Literatur sehr interessant und reich an Themen und Perspektiven, die in der schwedischen Literatur nicht sehr verbreitet sind. Ich übersetze gern ganz verschiedene Autorinnen und Autoren, um dem schwedischen Publikum ein komplexeres, vielseitigeres Bild zu vermitteln als die traditionelle, etwas stereotype Vorstellung Italiens, die leider noch zum Teil besteht. Ich denke zum Beispiel an Michele Mari und an Claudia Durastanti.

 

 

Wie wichtig ist für Sie bei Ihrer Arbeit als Übersetzerin die persönliche Beziehung zu den Autorinnen und Autoren der jeweiligen Bücher? Stehen Sie während der Übersetzungsarbeit mit ihnen im Briefwechsel?

 

Das ist von Fall zu Fall verschieden. Für mich ist es immer schön, Kontakt zu den Autorinnen und Autoren zu haben, die ich übersetze, aber ich möchte sie nicht stören, wenn es nicht nötig ist. Daher schreibe ich ihnen nur, wenn ich Fragen oder Probleme habe, die ich nicht mit Hilfe von Kollegen oder Muttersprachlern lösen kann. Aber ich habe sehr positive Erfahrungen mit solchen Kontakten gemacht. Ich konnte sogar Elena Ferrante Fragen stellen – natürlich ohne ihre wahre Identität zu erfahren, über den Verlag.

 

 

War unter den italienischen Büchern, die Sie übersetzt haben, eins, das für Sie eine besonders schwierige und anregende Herausforderung darstellte?

 

Ein Buch, das leider nicht die Aufmerksamkeit erhalten hat, die es verdiente, ist Euridice aveva un cane von Michele Mari (2023 auf Schwedisch erschienen). Seine Erzählungen bergen große Herausforderungen für die Übersetzer wegen der stilistischen Vielfalt und der Sprachebenen, in denen auch Dialekte und Neologismen nebeneinander verwendet werden. Da ist zum Beispiel eine moderne Version der Geschichte von der Gründung Roms und von Romulus und Remus, die in einem stilisierten Romanesco geschrieben sind. Es war schwierig, aber auch sehr unterhaltsam, den richtigen Ton zu finden; ich habe dafür einen etwas antiquierten Jargon aus Stockholm verwendet (ohne ins unfreiwillig Komische zu verfallen). Ich habe den Eindruck, dass ich bei dieser Arbeit meine Ressourcen als Übersetzerin bereichern konnte, ebenso wie in letzter Zeit mit Der Tag der Eule von Leonardo Sciascia – der einfach scheinen mag, aber eine große Präzision und Aufmerksamkeit erfordert.

 

 

Mit welchen italienischen Autoren beschäftigen Sie sich im Moment als Übersetzerin?

 

Ich korrigiere gerade den Andruck einer Neuübersetzung von Das verbotene Notizbuch von Alba de Céspedes. Parallel dazu übersetze ich den letzten Roman von Silvia Avallone, Cuore nero, und bereite die Übersetzung von Grande meraviglia von Viola Ardone vor (in Kürze nehme ich an einem Austausch zwischen Nordeuropa und Italien in der Toskana teil, wo ich einen Abschnitt aus dieser Übersetzung vorstellen und zur Diskussion stellen soll).

 

 

 

Aus Stockholm: ein Interview mit Johanna Hedenberg, Übersetzerin aus dem Italienischen ins Schwedische
® Håkan Lindgren
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