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12 Juni 2024

Die Komödien von Dario Fo auf Japanisch. Interview mit Kazufumi Takada

Autor: Giovanni Desantis, Direktor des Italienischen Kulturinstituts in Osaka (2020-2023)

Die Komödien von Dario Fo auf Japanisch. Interview mit Kazufumi Takada

Kazufumi Takada ist emeritierter Professor für italienische Kultur- und Theatergeschichte an der Shizuoka University of Art and Culture. Der ehemalige Leiter des japanischen Kulturinstituts in Rom ist heute ein gefragter Essayist und der führende japanische Experte für das zeitgenössische italienische Theater. Er ist auch der Verfasser der japanischen Übersetzung der Komödien von Dario Fo und Franca Rame: Dario Fo Kigekishuu, Übersetzung von Kazufumi Takada, herausgegeben von Giovanni Desantis, Osaka-Kyoto, Italienisches Kulturinstitut Osaka – Shoraisha Verlag, 2023, S. 448, mit 21 s/w- und Farbabbildungen.

 

 

Ich frage Sie, Kazufumi, denn Sie haben Fo noch persönlich kennengelernt: Ist es wirklich wichtig, Dario Fo heute ins Japanische zu übersetzen?

 

Über Dario Fo wurde auch in Japan viel gesprochen, als er 1997 den Nobelpreis erhielt. Aber in Wirklichkeit war sein Theater nur den Spezialisten bekannt, die sich für das westliche Theater interessierten, und einem sehr kleinen Publikum, das die Aufführungen auf der Bühne erleben konnte. Mit dieser Übersetzung sind die Werke von Fo nun für jedermann zugänglich, wenn auch nur im geschriebenen Text. Und da Fos Theater sehr viel mit dem Leben und der Gesellschaft von heute zu tun hat, ist es gerade jetzt wichtig, es ins Japanische zu übersetzen, denn die Erinnerung an das Leben und die Gesellschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist noch lebendig.

 

 

Was ist es, das Dario Fo für das japanische Publikum so attraktiv macht?

 

Zunächst einmal sind seine Komödien grundsätzlich „gut gemacht“ und können von jedermann gelesen werden. Seine Stücke haben offensichtlich einen starken Bezug zum aktuellen Zeitgeschehen, aber gleichzeitig nutzen sie die Techniken des traditionellen komischen Theaters, von der römischen Antike über das Barocktheater und die ‚Commedia dell’arte‘ bis hin zum Volkstheater des 19. und 20. Jahrhunderts. Ich glaube zudem, dass Fos Theater auch viel mit der so genannten ‚Commedia all’italiana‘ des italienischen Kinos des 20. Jahrhunderts zu tun.

Ein Beispiel: In der Komödie Claxon, trombette e pernacchi stellt Fo sich vor, dass Gianni Agnelli mit einem FIAT-Arbeiter verwechselt wird, weil das durch einen Terroranschlag entstellte Gesicht des FIAT-Präsidenten im Operationssaal fälschlicherweise mit den Gesichtszügen eines einfachen Arbeiters rekonstruiert wird. Fo bedient sich hier eines typischen Tricks des komischen Theaters: des durch die Zwillinge hervorgerufenen Missverständnisses, das auf Plautus (Menaechmi) zurückgeht und bis zu Shakespeare (The Comedy of Errors) und Goldoni (Die venezianischen Zwillinge) reicht. Zweitens behandeln die Komödien von Fo immer ein sehr aktuelles Thema, das gleichzeitig universell und international ist. Eines seiner Meisterwerke, Zufälliger Tod eines Anarchisten, beschreibt die Willkür der Polizei und die Intrigen von Regierung und Justiz. Das Stück ist von einem ganz konkreten historischen Ereignis inspiriert, dem Bombenanschlag auf dem Piazza Fontana. Fo konzentriert sich jedoch auf die Haltung der Polizei gegenüber Giuseppe Pinelli, der als Verdächtiger verhaftet wurde und nach einem Sturz aus dem Fenster der Questura in Mailand starb. Dieses Ereignis der italienischen Geschichte hätte in ähnlicher Weise in jedem Land der Welt passieren können. Der Wert von Fos Theater liegt in der Aktualität und Universalität der behandelten Themen, die auch von einem globalen Publikum verstanden werden.

 

 

Sind also die bissige politische Satire und die Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaft, die so zentral für Dario Fos Theater sind, universell übertragbar?

 

Sicherlich ist sein Theater eng mit dem politischen und sozioökonomischen Kontext Italiens verbunden, aber viele so genannte Industrieländer erlebten in jenen Jahren eine vergleichbare geschichtliche Entwicklung. Daher haben sich sehr ähnliche Umstände und Episoden auch in Japan ereignet. In Asien hat Korea zum Beispiel einen ähnlichen wirtschaftlichen Entwicklungsprozess durchlaufen wie Japan, und China, Thailand, Vietnam usw. folgten diesem Weg. Daher können die Menschen dieser Länder auch die politische Satire und die Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaft in Fos Werken als aktuell empfinden. Meiner Meinung nach ist dies genau der Grund, warum Fos Werke in so viele Sprachen übersetzt und aufgeführt wurden und den Nobelpreis verdient haben.

 

Was für eine historische Rolle hat das italienische Theater in Japan gespielt?

 

Um die Wahrheit zu sagen, hat das italienische Theater keinen so starken Einfluss auf das japanische Theater gehabt wie das anderer europäischer Länder. Ein Grund dafür ist der Versuch der japanischen Theatermacher der Meiji-Zeit, der Ära der Modernisierung der japanischen Gesellschaft und Kultur, die Techniken des modernen europäischen Theaters vom Realismus und Naturalismus zu übernehmen. Bekanntlich erlebte das italienische Theater aber seine Blütezeit mit der ‚Commedia dell’arte‘ der Barockepoche, einer typisch anti-naturalistischen Theaterform.

Es stimmt zwar, dass es im späten 19. Jahrhundert in Italien auch eine Strömung des naturalistischen Theaters gab, wie das von Verga und Giacosa, aber die ersten in Japan bekannten italienischen Dramatiker waren D’Annunzio und Pirandello, die zwei großen Autoren des antinaturalistischen Dekadentismus.

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde ausländisches Theater dem japanischen Publikum fast ausschließlich in Form von übersetzten Aufführungen präsentiert, aber ab den 1960er Jahren begannen ausländische Ensembles dann, direkt auf Tournee zu gehen. So kam Ende der 1970er Jahre das Piccolo Teatro aus Mailand mit Der Diener zweier Herren unter der Regie von Giorgio Strehler nach Japan. Die Aufführung war ein echter Schock für das japanische Publikum und die Kritiker, denn sie unterschied sich völlig von dem bis dahin bei ihnen gängigen Bild des westlichen Theaters, nämlich dem realistisch-naturalistischen. Seitdem hat die ‚Commedia dell’arte‘ großes Interesse bei japanischen Experten geweckt und gilt heute als das wahre italienische Theater.

 

Dario Fo ist zuallererst ein Schauspieler und Komödiant und erst dann Dramatiker. Wie soll er dem japanischen Publikum präsentiert werden, das traditionell eine große Leidenschaft für das Theater hegt?

 

Leider kann das japanische Publikum Fo als Schauspieler nur durch Aufnahmen seiner Aufführungen kennen lernen. Aber glücklicherweise können wir heute mit YouTube viele Videos von Fo sehen, wer möchte hat also leicht Zugang zu diesen Materialien.

Die meisten dieser Aufnahmen sind auf Italienisch, aber die Spannweite von Fos Gesten und visuellen Ausdrücken ist auch ohne Worte sehr gut zu verstehen.

Heute, vor allem nach Fos Tod, gibt es einige Versuche, seine Monologe zu übersetzen und aufzuführen, wie z.B. Mistero Buffo, allerdings schneiden sie im Vergleich zu denen von Fo selbst vorgetragenen sicherlich nicht besser ab. Vermutlich ist es äußerst schwierig, einen Fo-ähnlichen Schauspieler zu finden, der einen so originellen Text vortragen kann.

Ich bin der Meinung, dass Fos Monologe eher als „Erzählung“ zum Lesen oder Zuhören wertvoll sind, als ein Text, der auf der Bühne aufgeführt werden soll. Sie sollten also anders übersetzt werden als die Texte der Komödien.

 

 

Die Sprache von Fo und die Aufgabe des Übersetzers. Eine Herausforderung?

 

Es ist klar, dass die Sprache von Fo nicht einfach zu übersetzen ist. Zu der üblichen Schwierigkeit einen Text einer Fremdsprache zu übersetzen, kommt die Übersetzung eines Theatertextes hinzu. Das heißt, die übersetzten Wörter müssen von den japanischen Schauspielern auf natürliche Weise ausgesprochen und vom Publikum sofort verstanden werden. Ich glaube, dass das Publikum die Bedeutung eher durch Intuition oder Gefühl und nicht durch Nachdenken oder Überlegen verstehen muss. Bei der Übersetzung von Fo habe ich so weit wie möglich versucht, Wörter und Ausdrücke zu wählen, die ein normaler Japaner sofort versteht. Vielleicht hat mir dabei die Erfahrung geholfen, dass ich viele Simultanübersetzungen gemacht habe, bei denen der Dolmetscher die Bedeutung sofort mit einem möglichst passenden und einfachen Ausdruck vermitteln muss.

 

Ist nicht auch die besondere Beziehung zwischen Fo und seiner Frau Franca Rame, sowohl menschlich als auch beruflich, von großem Interesse?

 

In Italien ist bekannt, dass Fo und Rame bei der Produktion von Theaterstücken immer zusammengearbeitet haben. Im Ausland hingegen ist Fos Name durch den Nobelpreis berühmt geworden, aber Franca wird nur als die „Ehefrau“ von Dario Fo betrachtet. In Wirklichkeit wurden die Texte von Dario Fo „auf der Bühne“ geschrieben, und deshalb hat Franca Rame immer beim Schreiben des Drehbuchs mitgewirkt. Darüber hinaus hat Frau Rame alle von Einaudi herausgegebenen Ausgaben der Komödien redigiert, die als endgültige Fassungen gelten können. Ohne Francas Hilfe wären Fos Texte wahrscheinlich nur als „Drehbücher“ mit vielen Lücken und Variationen erhalten geblieben. Nicht nur als Theaterprofis, sondern auch privat waren sie eng miteinander verbunden. Ich habe mehrmals mit ihnen in Rom und Mailand zu Abend gegessen und sogar ihr Haus in Cesenatico an der Adria besucht. Im Gegensatz zu ihrem Verhalten auf der Bühne waren sie beide sehr ruhig, gelassen und freundlich und schienen wirklich ein ideales Paar zu sein.

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