Interview mit Anina Barandun, Chefredakteurin beim Rotpunktverlag Zürich
Autor: Francesco Ziosi, Leiter des Italienischen Kulturinstituts Zürich
Bevor Sie zum reinen Verlagswesen kamen, haben Sie beim Rundfunk gearbeitet. Können Sie uns ein wenig über Ihren Werdegang und die Besonderheiten der Verlagsarbeit im Vergleich zu anderen Bereichen der Kulturindustrie erzählen?
Nach dem Studium (ich habe deutsche und italienische Literatur studiert) arbeitete ich für die Kulturförderung des Kantons Bern, wechselte aber bald von der öffentlichen Verwaltung in die Welt des Theaters. Unter anderem war ich Assistentin und Dolmetscherin von Alessandro Marchetti, einem italienischen Schauspieler und Regisseur (und Sohn der Kunst), der ein Experte für Goldoni und die Commedia dell’arte ist. Von 2005 bis 2021 war ich beim SRF, dem deutschsprachigen Schweizer Radio und Fernsehen, als Verantwortliche für Hörspiele und satirische Sendungen tätig.
Grundlage meiner Arbeit war immer ein literarischer Text, aber sowohl im Theater als auch im Hörspiel muss ein Text nach den konkreten Kriterien der Inszenierung „funktionieren“. Mit der Zeit wurden die Bedingungen für die Hörspielproduktion immer schwieriger, die Sparvorgaben immer härter. Deshalb verließ ich den SRF und fand in der Redaktion, was ich suchte: nämlich die intensive Zusammenarbeit mit den Autorinnen und Autoren. Im Rotpunktverlag kann ich ihre Projekte (fast) von Anfang an beobachten und sie auf einer Reise begleiten, deren Ziel oft unbekannt ist.
Der Literaturmarkt sucht zunehmend nach dem sofort und kurzfristig erfolgreichen Buch: Wie gehen Sie mit diesem Phänomen im Rotpunktverlag um?
Auch wir beobachten diesen Trend, der uns sehr beunruhigt. Aber als Verlag, der für Bücher von hoher literarischer Qualität und politische Sachbücher bekannt ist, können (und wollen) wir nicht einfach veröffentlichen, was der Markt verlangt (z. B. Regionalkrimis oder „Liebesromane“). Vielmehr versuchen wir, unsere Pressearbeit zu intensivieren und Veranstaltungen zu schaffen, um ein neues Buch oder einen jungen Autor vorzustellen. Das ist allerdings eine sehr anspruchsvolle Arbeit, denn die Medien schätzen die Literaturkritik immer weniger. Andererseits muss man sagen, dass es trotz des Vorherrschens an kurzen Erfolgen immer wieder „Longseller“ gibt, im Falle von Rotpunkt zum Beispiel Fabio Andinas La pozza del Felice (auf Deutsch Tage mit Felice) oder Leta Semadenis Tamangur. Letztendlich können wir nur die Bücher veröffentlichen, an die wir glauben, und hoffen, dass wir mit intensiver Werbung das Interesse von Kritikern, Buchhändlern und vor allem von Lesern wecken.
Eine Frage zur Wahrnehmung der italienischen Kultur in der Schweiz, insbesondere in der Deutschschweiz: Gibt es Besonderheiten im Vergleich zur restlichen deutschsprachigen Welt? Wir als Italienisches Kulturinstitut sind der Meinung, dass die Geschichte und die Bedeutung der italienischen Einwanderung in der Schweiz eine wichtige Rolle spielt.
Ich teile diesen Gedanken, ja, die Einwanderung ist ein sehr wichtiges Thema. Dabei denke ich sofort an „unsere“ Autoren Vincenzo Todisco, Alexandre Hmine oder Franco Supino. Vielleicht ist ein Grund für diese Häufigkeit, dass wir vergessen haben, wie die Italiener in die Schweiz gekommen sind. Wir erinnern uns gerne an die italienischen Lieder, die italienische Küche, die italienische Mode, die in den 1970er- und 1980er-Jahren unseren Alltag erobert haben, aber die Verzweiflung der Saisonarbeiter haben wir zu lange ignoriert. Erst jetzt erinnern uns die heimlichen Kinder von damals, die alt geworden sind, – oder ihre Geschichten – daran.
In Deutschland scheint mir ein eher idealisiertes Bild von Italien zu herrschen, fast das ferne Echo von Goethes berühmtem Gedicht: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?“ Einer der Gründe dafür wird sein, dass in Deutschland die größten Einwanderergruppen aus der Türkei, Polen und Russland kommen. Das kritische und analytische Auge wird also eher dorthin blicken, während Italien ein Urlaubsland bleibt. (Ich weiß, dass in dieser Antwort ein Klischee steckt, aber wenn ich lese, dass viele Deutsche die Mafia immer noch als eine Art Folklore betrachten…)
Können Sie uns ein paar Projekte von Rotpunkt für Italien beschreiben?
Mit Vergnügen! Wir verfolgen zwei oder besser gesagt drei Wege: Wir widmen uns der Verbreitung unserer italienischen „Klassiker“, Gino Vermicelli (wir haben seinen Roman über den Widerstand in Ossola mit einer neuen Einleitung von Ferruccio Cainero neu aufgelegt) und Cesare Pavese (nach der Veröffentlichung von vier Romanbänden bereiten wir eine überarbeitete Ausgabe seines Tagebuchs Il mestiere di vivere vor). Im Bereich der modernen Literatur sind wir immer auf der Suche nach neuen Stimmen – die jüngste Entdeckung war Valentina Mira (derzeit im Rennen um den Strega-Preis). Aber natürlich verfolgen wir auch die italienischsprachige Schweizer Literatur (ein neuer Roman von Fabio Andina ist in Vorbereitung).
Erwähnen möchte ich auch unsere Reiseführer, die neben der Literatur und den politischen Sachbüchern das dritte Programm von Rotpunkt sind: Norditalien ist für unsere reisefreudigen Leser sehr wichtig. Mit unseren Reiseführern wollen wir ihnen auf das Val Grande, das Maira-Tal, den Lago Maggiore, den Orta-See oder auch die Große Alpenüberquerung Lust machen.