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13 Februar 2024

Zielort Frankfurt 2024
Interview mit Alessandra Ballesi-Hansen, Gründerin und Leiterin des nonsolo Verlags

Autor: Maddalena Fingerle

Zielort Frankfurt 2024<br> Interview mit Alessandra Ballesi-Hansen, Gründerin und Leiterin des nonsolo Verlags

Alessandra Ballesi-Hansen (geb.1962) stammt aus Rom, wo sie italienische Literatur, moderne Geschichte und Paläographie studierte, ist aber seit langem in Freiburg ansässig. Dort war sie an der Universität als Dozentin für italienische Sprache und Kultur tätig. 2017 gründete sie den nonsolo Verlag, der Paolo Di Paolo, Lisa Ginzburg und Igiaba Scego im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht hat.

 

Wann wurde der nonsolo Verlag gegründet und warum?

 

Der nonsolo Verlag wurde 2017 in Freiburg (Baden-Württemberg) einzig mit dem Ziel gegründet, die Verbreitung von Texten der italienischen Gegenwartsliteratur zu fördern, die noch nicht auf Deutsch erschienen sind. Trotz der unbestreitbaren Verdienste hervorragender Verlage in Deutschland, die der italienischen Literatur seit jeher viel Platz einräumen, findet tatsächlich nur ein Bruchteil der zeitgenössischen italienischen Produktion einen Platz auf dem deutschen Verlagsmarkt. Viele interessante Autoren erhalten deshalb nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Dem wollen wir entgegenwirken: Unser Programm konzentriert sich auf etablierte Autoren und Autorinnen, die in Italien meist Preisträger oder Finalisten bedeutender Literaturpreise sind und die das deutschen Publikum noch nicht kennt. Um hier nur einen zu nennen: Paolo Di Paolo, dessen wertvolle Ratschläge den entscheidenden Anstoß zur Gründung des Verlags gaben und der uns zudem das Vergnügen und die Ehre beschert hat, zwei seiner Romane (Una storia quasi solo d’amore – Fast nur eine Liebesgeschichte und Lontano dagli occhi – Und doch so fern) und eine Kurzgeschichte (Il porto dell’oblìo – Der Hafen des Vergessens) in der Übersetzung von Christiane Burkhardt veröffentlichen zu dürfen.

 

Hat sich Ihr Blick auf die Literatur mit der Zeit verändert? Wenn ja, auf welche Weise?

 

Um ehrlich zu sein, nein. Ich bin nach wie vor mit großer Begeisterung dabei neue Bücher und neue Trends zu entdecken. Und ich freue mich, wenn ich eine Bestätigung für unser Bemühen sehe.

 

Lesen Sie auch zum Vergnügen oder nur für die Arbeit?

 

Beides, aber in verschiedenen Sprachen: Aus beruflichen Gründen und als eine Art „par condicio“ lese ich italienische Literatur natürlich auf Italienisch, auch im Hinblick auf eine mögliche Veröffentlichung, und alles andere auf Deutsch.

In den Ferien werde ich eine echte Leseratte; wahre Entspannung bedeutet für mich, dass ich mich mit einem Buch in der Hand für mehrere Stunden am Stück isolieren kann. Es ist allerdings kaum möglich, eine Liste der Bücher zu erstellen, die mir besonders gut gefallen haben, ich hätte zu viel Angst, eines davon zu vergessen. Sicherlich ist Alles, was wir geben mussten von Kazuo Ishiguro (Never let me go ist der Originaltitel) das Buch, über das ich mit meinen vier Kindern am meisten gesprochen und nachgedacht habe.

 

Wie sieht Ihr typischer Tag aus (wenn man überhaupt davon sprechen kann)?

 

Ich wünschte, es gäbe einen, aber leider ist das nicht möglich. nonsolo ist ein „Mini“-Verlag, d.h. wir sind drei fest angestellte Mitarbeiter, aber nur ich arbeite Vollzeit: meine Kollegin Louisa Schwind, die für das von der EU im Rahmen des Programms „Kreatives Europa“ kofinanzierte Projekt „Identität und Diversität in der italienischen Gegenwartsliteratur“ zuständig ist, und der Web- und Social Media-Manager Nils Bentlage sind Teilzeitkräfte. Das bedeutet, dass mein Arbeitstag oft zehn Stunden umfasst und meine Verpflichtungen von der Recherche bis zur Besprechung von Textproblemen mit der Lektorin Irene Pacini und den Übersetzern, von der Planung von Veranstaltungen und Messen bis zur Zusammenarbeit mit Vertretern und Redaktionsberatern reichen, um nur einige Aspekte zu nennen. Das ist eine immense, aber schöne Aufgabe.

 

Worauf achten Sie, wenn Sie die Übersetzungsrechte an einem italienischen Roman erwerben? Was muss ein Buch oder ein Autor/eine Autorin haben, um Sie zu interessieren?

 

Zunächst einmal muss es nicht nur mich, sondern auch unsere Lektorin Irene Pacini, eine sehr liebe Freundin und wertvolle Kollegin, ansprechen und überzeugen. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, dass es zu unserer „Zielsetzung“ beitragen kann. Das nonsolo-Team ist perfekt zweisprachig und bikulturell. Das Leben zwischen den Welten hat uns immer wieder gezeigt, dass das Bild einer fremden Kultur in der öffentlichen Meinung oft von Klischees bestimmt wird, die wenig mit der Realität zu tun haben. Oder es ist bestenfalls in Idealisierungen der Vergangenheit verankert, wie Goethes Italienische Reise eindeutig bestätigt. Für viele Deutsche ist Italien immer noch in erster Linie „das Land, wo die Zitronen blühen“, das Land der klassischen Kunst und der Naturschönheiten: eine Vorstellung, die offensichtlich nicht ausreicht, um das heutige Italien zu verstehen. Mit der Veröffentlichung von Texten, die ein zeitgemäßes Bild unseres Landes jenseits von vorgefertigten Schemata, vermeintlicher „Normalität“ oder in der kollektiven Vorstellung verankerten Klischees vermitteln, wollen wir dazu beitragen, Mauern des Unverständnisses und der Vorbehalte abzubauen und eine Brücke zwischen den beiden Kulturen zu schlagen, die uns am Herzen liegen. Das oben erwähnte Projekt Identität und Diversität in der italienischen Gegenwartsliteratur, zu dem fünf Romane von Lorenzo Amurri, Lisa Ginzburg, Maurizio Fiorino, Alessandra Carati und Gaia Manzini gehören, fügt sich ganz selbstverständlich in diesen Rahmen ein. Aber auch die neue, von Mario Desiati für unseren Verlag herausgegebene Reihe, die ab Oktober 2024 erscheinen wird und nicht zufällig nonsolo limoni heißen wird. In dieser Reihe werden wir uns auf Frauenstimmen konzentrieren, die der aktuellen Dynamik der italienischen Gesellschaft besonders aufmerksam gegenüberstehen (natürlich allesamt entsprechend der Leitlinien unseres Verlags noch nicht in Deutschland erschienen). Diese Titel werden die ersten drei Bände der Reihe sein: Il cuore non si vede von Chiara Valerio, Ragazze perbene von Olga Campofreda und Forse mio padre von Laura Forti.

 

Haben Sie schon einmal die Übersetzungsrechte für ein Buch gekauft, das Sie nicht überzeugt hat, das Sie aber für verkaufsfähig hielten?

 

In einem Fall ja, aber das Ergebnis entsprach nicht den Erwartungen. Als ob die mangelnde Überzeugung bei der Auswahl den ausbleibenden Erfolg auf dem Verlagsmarkt bedingt hätte… Ich bin mir durchaus bewusst, dass dies eine unrealistische Annahme ist, aber sicher ist, dass für unseren kleinen Verlag der Enthusiasmus eine Grundvoraussetzung und eine unverzichtbare Maxime ist.

 

Mir scheint es aber sehr realistisch, Verlage bestehen schließlich aus Menschen und mit denen kommen Enthusiasmus und Wunschvorstellungen.

 

Das höre ich gerne! Wir haben immer Angst, in unserer Arbeitsweise ein wenig naiv zu wirken.

 

Gibt es ein Thema, das in deutschsprachigen Ländern funktioniert, aber nicht in den italienischsprachigen und umgekehrt? Wenn ja, warum Ihrer Meinung nach?

 

Mit Sicherheit kann ich bestätigen, dass einige italienische Romane in Deutschland ein viel größeres Interesse und folglich einen viel größeren Erfolg gefunden haben als in der Originalsprache. Oder andersherum. Und es ist nicht immer leicht zu verstehen, warum. Ich denke da an die so genannten „Dynamiken im Raum“, die Nicola H. Cosentino, einer unserer jüngsten Autoren, als Variablen definiert, die in bestimmten Kontexten eher zu einem Ergebnis führen als zu einem anderen, und zwar nach einer nicht immer leicht zu durchschauenden Logik. Nehmen wir zum Beispiel Francesca Melandris schönen Roman Sangue giusto, der bei Wagenbach unter dem Titel Alle, außer mir erschienen ist und in Deutschland viele Wochen lang in den Top 20 der Bestsellerliste stand. Es gibt viele Erklärungen für diesen enormen Erfolg, von den Lesegewohnheiten des deutschen Publikums über das unterschiedliche Format der Lesungen bis hin zu der Tatsache, dass er als Roman von großer Aktualität und nicht wie in Italien als historischer Roman definiert wurde. Tatsache ist, dass es in Wirklichkeit nicht möglich ist oder zumindest nicht möglich war, einen bestimmten Grund für dieses Phänomen zu finden.

 

Gibt es ein Buch, das Sie gerne veröffentlicht hätten, das aber von einem anderen Verlag herausgegeben wurde?

 

Mehr als eins! Aus wirtschaftlichen Erwägungen sind wir gezwungen, das Verlagsprogramm auf drei, maximal vier Titel pro Jahr zu beschränken. Wir müssen also auf einiges verzichten. Man muss auch sagen, dass wir oft nicht mit größeren Verlagen konkurrieren können, die viel höhere Summen für den Erwerb von Lizenzen bieten können. Die Gewinner des Premio Strega, um ein Beispiel zu nennen, sind für uns noch unerreichbar. Aber wir sind zuversichtlich, und ich hoffe, zu Recht, dass das Publizieren in Zukunft noch vielfältiger wird.

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