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30 April 2024

Das italienische Buch in der Ukraine

Autor: Mariana Prokopovych, traduttrice

Das italienische Buch in der Ukraine

Das Interesse der ukrainischen Intellektuellen für italienische Literatur begann sich in den Jahrhunderten der Renaissance und des Barock zu zeigen, als italienische Autoren entweder im Original oder in polnischen Übersetzungen gelesen wurden, wie lange Zitate italienischer Texte in den Werken ukrainischer Schriftsteller der damaligen Zeit bezeugen.

Im 18. Jahrhundert erschienen die ersten Übersetzungen in die ukrainische Literatursprache: eine Version in Versen von einer Novelle von Boccaccio und einige Fragmente aus Das befreite Jerusalem von Torquato Tasso.

Vollständige Übersetzungen von Texten italienischer Literatur erscheinen erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, als sich die neue, im modernen Ukrainisch geschriebene Literatur durchsetzt und behauptet. In dieser Zeit werden Übersetzungen der Gedichte von Dante, Petrarca, Michelangelo, Leopardi, Carducci, Ada Negri, Foscolo usw. veröffentlicht. Unter den Übersetzerinnen und Übersetzern der damaligen Zeit können wir bedeutende Namen nennen wie Ivan Franko, Lesja Ukrajinka, Pavlo Hrabovskyj, Vasyl Shchurat und Petro Karmanskyj.

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen kamen Übersetzungen von Autoren wie Goldoni, Verga, De Amicis und Giovagnoli heraus. Außerdem erschien die erste, wenn auch unvollständige Übersetzung des Dekameron von Boccaccio.

In der Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der übersetzten italienischen Autoren beträchtlich an. Unter anderem wurden Werke von Manzoni, Leopardi, Tomasi di Lampedusa, Pratolini, Palazzeschi, Moravia, Calvino herausgebracht. 1976 wurde die erste vollständige Übersetzung der Göttlichen Komödie von Jevhen Drobiazko veröffentlicht (Läuterungsberg und Paradies waren als separate Ausgaben schon 1968 und 1972 erschienen). Eine besondere Erwähnung verdient die erste vollständige Übersetzung des Dekameron durch den genialen Übersetzer Mykola Lukash, denn sie ist nicht nur eine getreue, kongeniale Version von Boccaccios Meisterwerk, sondern durch den außerordentlichen Reichtum und die Perfektion in der Verwendung der ukrainischen Sprache auch ein exemplarischer Text. In den 80er Jahren kam in München ein Buch mit ukrainischen Übersetzungen aus dem Canzoniere von Petrarca von Ihor Kachurovskyj, einem Dichter in der ukrainischen Diaspora, heraus.

Eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung der italienischen Literatur in der Ukraine spielte die Zeitschrift für ausländische Literatur Vsesvit („Universum“), in der Übersetzungen der größten italienischen klassischen und zeitgenössischen Dichterinnen und Dichter wie Dante, Petrarca, Marino, Grazia Deledda, Pavese, Ungaretti, Montale, Quasimodo, Saba und vielen anderen veröffentlicht wurden. In den 60er, 70er und 80er Jahren veröffentlichte die Zeitschrift auch Übersetzungen von Romanen von Nievo, Vittorini, Sciascia, Malaparte, Tomasi di Lampedusa, Moravia, Calvino sowie Novellen von Pavese, Buzzati, Malerba, Soldati, Bevilacqua und anderen. Unter den Übersetzerinnen und Übersetzern der Zeit ragen neben den schon genannten Namen wie Hryhorij Kochur, Jurij Pedan, Anatol Perepadia, Viktor Shovkun, Petro Sokolovskyj, Iryna Steshenko, Oleksandr Mokrovolskyj, Ivan Dziub, Ivan Trush, Dmytro Pavlychko hervor – einige von ihnen waren auch bis über die Jahrtausendwende hinaus aktiv.

Mit der Unabhängigkeit änderte sich die Situation der Übersetzungen italienischer Literatur radikal. Einerseits fielen alle Einschränkungen durch die ideologische Zensur weg und die Beziehungen zwischen Italien und der Ukraine wurden erheblich intensiviert, andererseits führten der Zusammenbruch der Wirtschaft und die sehr geringe Kaufkraft der Ukrainer in den 90er Jahren zur Krise des ukrainischen Verlagswesens, das bis dahin vom Staat unterstützt worden war. Dennoch wurden auch in dieser Zeit Übersetzungen aus dem Italienischen veröffentlicht, sowohl in Buchform (Machiavelli, Pirandello, Rodari, Pavese) als auch in der Zeitschrift Vsesvit. Diese gab übrigens auch die Übersetzung des Foucaultschen Pendels von Umberto Eco in der Übersetzung von Mariana Prokopovych heraus, eine wahre literarische Sensation jener Jahre. Auch in den folgenden Jahrzehnten veröffentlichte Vsesvit weiter Übersetzungen aus dem Italienischen, darunter San Silvano von Giuseppe Dessì in der Übersetzung von Oleksandra Rekut-Liberatore und Die gräßliche Bescherung in der Via Merulana von Carlo Emilio Gadda, übersetzt von Hennadij Fedorov. Außerdem wurden viele Übersetzungen italienischer Lyrik in Sammlungen und Anthologien aufgenommen.

Seit Beginn der nuller Jahre begann sich mit dem Aufschwung der ukrainischen Wirtschaft auch das Verlagswesen zu erholen, wenn auch langsam. Eine sehr wichtige Rolle hat das Italienische Kulturinstitut in Kiew, das damals von Nicola Franco Balloni geleitet wurde und aktiv die Veröffentlichung von Literaturübersetzungen aus dem italienischen förderte. Dieses Institut richtete zusammen mit dem Literaturinstitut an der Ukrainischen Wissenschaftsakademie und dem Verlag Folio die Reihe „Bibliothek der italienischen Literatur“ ein, in der die wichtigsten Klassiker ihren Platz fanden. Dazu gehören die Göttliche Komödie und das Neue Leben von Dante, der Canzoniere von Petrarca, das Dekameron von Boccaccio, Die Verlobten von Manzoni, Der Fürst von Machiavelli, Il Piacere von d’Annunzio, Zenos Gewissen von Svevo, die Trilogie Unsere Vorfahren von Calvino, Der Leopard von Tomasi di Lampedusa, Komödien von Goldoni, Werke von Pirandello und Grazia Deledda, Romane von Pavese usw.

In den zehner Jahren befand sich das Verlagswesen in der Ukraine weiter im Aufschwung, auch durch den zunehmenden Wohlstand der Bevölkerung. So erschienen immer mehr Übersetzungen von italienischer Literatur, vor allem aus der Gegenwart. Unter anderem wurden alle Romane von Umberto Eco übersetzt und veröffentlicht (Verlag Folio, Übers. Mariana Prokopovych und Julia Hryhorenko). Folio verlegte auch vier Bände des italienischen Krimiautors Giorgio Scerbanenco, der ukrainische Wurzeln hatte (Übers. Volodymyr Chajkovskyj, Jurij Pedan und Mariana Prokopovych). Der Verlag Klub Simejnoho Dozvillia veröffentlichte dagegen die bekannte Tetralogie Neapolitanische Saga von Elena Ferrante (Übers. Lubov Kotliar und Mariana Prokopovych), ebenso wie ihren Roman Das lügenhafte Leben der Erwachsenen (Übers. Mariana Prokopovych).

Unter den in den letzten zehn Jahren veröffentlichten Titeln seien genannt: Novecento, Seide, Oceano mare und Ohne Blut von Baricco (hg. Klub Simejnoho Dozvillia und Folio, Übers. Roman Skakun, Julia Hryhorenko, Alina Nemirova), Die Einsamkeit der Primzahlen und Schwarz und Silber von Paolo Giordano (hg. Vydavnytstvo Staroho Leva, Übers. Andrij Masliukh), Wenn ein Reisender in einer Winternacht von Italo Calvino (hg. Vydavnytstvo Staroho Leva, Übers. Roman Skakun), Ist das ein Mensch von Primo Levi (hg. Vydavnytstvo Staroho Leva, Übers. Mariana Prokopovych), Eva schläft und Über Meereshöhe von Francesca Melandri (hg. Nora-Druk, Übers. Mariana Prokopovych), Den Himmel finden von Erri De Luca (hg. Vydavnytstvo Anetty Antonenko, Übers. Lubov Kotliar), Geh nicht fort von Margaret Mazzantini (ed. Klub Simejnoho Dozvillia, Übers. Viktor Stepanov), Alpini im russischen Schnee von Mario Rigoni Stern (hg. Klio, Übers. Andrij Omelianiuk), Drei Meter über dem Himmel von Federico Moccia (hg. Klub Simejnoho Dozvillia, Übers. Iryna Cascei), Treue von Marco Missiroli (hg. Fors Ukraina, Übers. Viktoria Chernenko).

Im Bereich der Kinderbücher sind die absoluten Spitzenreiter Carlo Collodi und Gianni Rodari, deren Bücher kontinuierlich in neuen Übersetzungen wiederveröffentlicht werden. In den letzten Jahren wurden aber auch andere italienische Autoren und Autorinnen von Kinder- und Jugendbüchern veröffentlicht, wie Angela Nanetti, Pierdomenico Baccalario, Michele d’Ignazio und Silvana de Mari.

Italienische Sachbücher sind im ukrainischen Verlagswesen leider noch ungenügend vertreten. Erwähnen kann man unter anderem Storia dell’arroganza von Luigi Zoja (hg. Astrolabia, Übers. Svitlana Sarvira), Meine Memoiren von Enzo Ferrari (hg. Nora-Druk, Übers. Mariana Prokopovych), Accidia von Sergio Benvenuto (hg. Vydavnytstvo Anetty Antonenko, Übers. Lubov Kotliar), Homo Sacer, Bd.1 von Giorgio Agamben (in Vorbereitung, Übers. Ivan Ivashchenko), sowie einige Texte von Umberto Eco.

Eine besondere Erwähnung verdient schließlich die Veröffentlichung einer vollständigen Neuübersetzung von Dantes Göttlicher Komödie vonMaksym Strikha von 2013 bis 2015 im Verlag Astrolabia.

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