Die Verlage für Dichter –
Zweiter Teil
Autor: Maria Teresa Carbone
Maria Teresa Carbone schreibt über Verlagswesen, Literatur, Fotografie und Kino, hält Kurse über Journalismus an der Universität Roma Tre und an der UCEAP (University of California Education Abroad Program) und engagiert sich in der Leseerziehung. Sie hat die Redaktion von Alfabeta2 koordiniert, den Kunstteil von Pagina99 redigiert und am Kulturteil von Manifesto mitgearbeitet. Ihre jüngsten Bücher sind Che ci faccio qui? Scrittrici e scrittori nell’era della postfotografia (Italo Svevo 2022) und der Gedichtband Calendiario (Aragno 2020). Darüber hinaus hat sie auch Werke von Joseph Conrad, Ngugi wa Thiong’o, Jean Baudrillard und Virginie Despentes übersetzt.
Ein Instapoet wird definiert als jemand, „der seine eigenen, meist kurzen und von Bildern begleiteten Gedichte auf sozialen Netzwerken, insbesondere Instagram, veröffentlicht“. So steht es im Treccani-Wörterbuch il dizionario Treccani unter der Rubrik „Neologismen“, mit dem Zusatz einer Klarstellung: „Gedichtbände – zeitgenössische oder aus vergangenen Epochen – haben keine hohe Auflage und gelten als redaktionelles Produkt, das für eine eher kultivierte Nische bestimmt ist“. Ein grausames Schicksal, dem diese Autoren der neuen Generation zu entgehen scheinen, denn „in einer Zeit, in der die Poesie tot zu sein schien, bringen sie eine Fangemeinde mit, die der eines Stars gleichkommt“, wie Costanza Rizzacasa d’Orsogna 2017 in „La lettura“, der Kulturbeilage des ‚Corriere della Sera‘, schrieb.
Aber wie stehen die Dinge wirklich? Können wir das Internet als eine riesige Brutstätte für junge Poeten betrachten? Und ganz allgemein: Was bedeutet es, Gedichtbände zu veröffentlichen, wenn es im Netz nur einen Klick entfernt von Versen nur so wimmelt? „Das Netz scheint das individuelle Problem der Veröffentlichung gelöst zu haben. Heute kann jeder seine Gedichte ins Netz stellen, in der Hoffnung, dass sie jemand liest“, stellt Nicola Crocetti in der Einleitung zu seiner „antologia della poesia universale“ Dimmi un verso anima mia fest, um gleich darauf zu warnen, dass es sich dabei nur um „eine Illusion”,eine Art „Flaschenpost“ handelt, auf deren Auffinden man sich nicht verlassen kann.
Und offenbar gibt es viele, die wie Crocetti denken, obwohl wir uns nicht nur im Zeitalter des Internets befinden, sondern auch im Zeitalter der „multimodalen Hyperpräsenz“, um Renata Morresi zu zitieren, die für den kleinen Verlag Arcipelago Itaca die „schwierige“ Lyrikreihe Lacustrine leitet, wie sie sie selbst mit einer gewissen Ironie beschreibt: „schwierig, wie ‚normale‘ Gedichte sind, eine Herausforderung an die träge Vorstellungskraft, an sprachliche Gewohnheiten, an trübes Denken“. Nun, sagt Morresi (selbst Dichterin, wie fast alle Herausgeber von Gedichtreihen), „noch nie wurden so viele Bücher gedruckt“, trotz Ton- und Bildbearbeitungen, öffentlichen Lesungen, kollektiven Projekten: „Das enorme Leseangebot, das das Netz bietet, ist keineswegs abschreckend. Der Schriftsteller will immer noch, und zwar sehr gerne, auf Papier drucken. Danilo Mandolini [der Verleger von Arcipelago Itaca, Anm. d. Red.] erhält sogar zwanzig oder dreißig Veröffentlichungsanfragen pro Woche: die Angst ist groß, dass wir durch den Verzicht auf das Buch als Reliquie – ein Stück des Körpers des Dichterheiligen, das seine spirituelle Wirkung ausstrahlt – alles verlieren, was die Poesie darstellen und bewirken kann“.
Dass die Bedeutung des Netzes Gefahr läuft, übertrieben zu werden, meint auch Marco Giovenale, Herausgeber der Syn-Reihe von Ikonaliber, demzufolge in Italien die alten Medien (Fernsehen, Radio, gedruckte Zeitungen) nach wie vor eine zentrale Rolle für die Verbreitung von Lyrik spielen, nicht zu vergessen die Preise und Festivals: „Je mehr wir uns dem Szenario des poetischen und generellen Publizierens nähern, desto mehr scheint das Internet an Einfluss zu verlieren, auch wenn es sicherlich seine Bedeutung behält. Was die Hypothese anbelangt, dass Verleger – allein durch das Lesen im dem Internet – spontan Autoren suchen, die gedruckt werden sollen, so habe ich den Eindruck, dass dies noch zu überprüfen ist und sich vielleicht das Gegenteil herausstellt. Das Typoskript und die materielle Kenntnis des Autors stehen immer noch an erster Stelle“.
Denn wenn man mit Verlegern und Herausgebern von Gedichtreihen spricht, hat man das Gefühl, dass die Grenze zwischen dem Internet und der „realen Welt“ weniger starr ist, als man zumeist zu glauben pflegt, und dass es eben – wie Giovenale zu Recht bemerkt – auf die Kenntnis der Texte und derjenigen, die sie schreiben, ankommt. „Die Manuskripte kommen beim Verlag an oder wir suchen nach Autoren, weil wir sie von früheren Veröffentlichungen, vielleicht in Online-Magazinen, kennen“, sagt Agnese Manni, Leiterin der edizioni, die ihren Nachnamen tragen. Und Michele Zaffarano, der für Tic drei Reihen herausgibt (ChapBooks, UltraChapBooks und Gli Alberi, die ersten beiden über kreatives Schreiben, die dritte über Literaturtheorie), bekräftigt: „Die Autoren, die ich veröffentliche, sind Autoren, die ich aus erster Hand kenne, oder an die ich mich irgendwie erinnere, weil ich sie bereits gelesen habe, oder Autoren, die mir von Leuten empfohlen werden, die ich schätze“.
Franco Buffoni, der seit mehr als dreißig Jahren mit den Quaderni italiani di poesia ein untrügliches Gespür für neue Talente hat (und auch für Interlinea die Reihe LyraGiovani herausgibt) mag den Wandel, den das Internet mit sich bringt, nicht übersehen: „Es macht alles leichter, ist praktisch kostenlos und ermöglicht es, die Zahl der Veröffentlichungen auf Papier erheblich zu reduzieren“. Doch auch für ihn besteht eine gewisse Kontinuität: „Bis vor zwanzig Jahren waren die gedruckten Zeitschriften das Sieb: Von dort kamen die Namen, mit denen man sich eingehend beschäftigen konnte. Heute übernimmt diese Funktion das Web. Vielleicht hat sich also im Kern nichts wirklich geändert“. Sicher ist, und das gilt heute wie gestern, vor allem, wenn die Entscheidungen kollektiv getroffen werden, wie im Fall des Lesekomitees der Quaderni, „Der Koordinator muss vor allem eins tun: vermitteln, vermitteln und nochmals vermitteln“.
Keine leichte Übung, die Vermittlung, und doch basiert sie auf einem Vergleich, der eine Bereicherung ist. Davon ist Gian Mario Villalta, einer der Herausgeber der beiden Reihen Gialla und Gialla Oro, die vom Festival Pordenonelegge in Zusammenarbeit mit Samuele Editore produziert werden, überzeugt: „Mehr als die Kriterien ist die Tatsache ausschlaggebend, dass viele von uns auswählen, und damit meine ich nicht nur uns Herausgeber, sondern auch die vielen Freunde und Dichter, die mit uns sprechen und Vorschläge machen. Meiner Meinung nach ist der wahre Träger der Lyrik heute die Beziehung zwischen den Menschen und ihre Fähigkeit, ein lebendiges, teilnehmendes Netzwerk zu schaffen. Wie Vittorio Sereni sagte, „Gedichte werden nicht gelesen, mit Gedichten lebt man“. Ähnlich äußert sich auch Tommaso Di Dio, der für Il Saggiatore die umfangreiche Anthologie Poesie dell’Italia contemporanea herausgegeben hat und zusammen mit Vincenzo Frungillo und Ivan Schiavone die Adamàs-Reihe für den Verlag La vita felice betreut: „Unser Verlag ist ein Ort des Dialogs zwischen drei Herausgebern, die sehr unterschiedliche Vorstellungen vom poetischen Schreiben haben. Daraus ergibt sich bereits ein Stil: Wir werden sicherlich versuchen, Texte zu veröffentlichen, die nicht alle die gleiche Herkunftsgeschichte haben, sondern uns drei durch ihr handwerkliches Können, ihre Fähigkeit zur Innovation und die Eröffnung neuer Grenzen der Vorstellungskraft überzeugen“.
Ähnlich sieht Maria Grazia Calandrone die Reihe “i domani”, die sie zusammen mit Andrea Cortellessa und Laura Pugno für den Verlag Aragno herausgibt, als „ein gelungenes Gleichgewicht zwischen verschiedenen Arten, Stimmungen und Lösungen der Lyrikgestaltung“. Diego Bertelli, der zusammen mit Raoul Bruni für Le Lettere die Reihe Novecento/Duemila herausgibt, spricht von einer „dynamischeren Alternative zu den redaktionellen Entscheidungen, die auf einer bestimmten Richtung beruhen“, und von einem „Kanon, der im Entstehen begriffen ist (denn wir glauben, dass ein Kanon nur auf diese Weise möglich ist)“, ohne dabei – daher der Name – die Wiederaufnahme „vergessener“ Werke und Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts auszuschließen.
Kurzum, es gibt eine große und nutzbringende Bewegung im Panorama der zeitgenössischen italienischen Lyrikverlage, auch wenn Maurizio Cucchi, langjähriger Berater von Mondadori für die „geschichtsträchtigste“ der Lyrikreihen Lo Specchio mahnt, dass „das grundlegende Bewertungskriterium die „Qualität“ sein muss, „die ein absoluter literarischer Wert ist, jenseits jeglicher Schul- oder Trendzugehörigkeit“ ist, vor allem „in einem historischen Moment, in dem die Menschen die Sprache nicht mehr erschaffen, sondern nur noch ertragen“. Ein Konzept, das der Qualität, auf das sich theoretisch alle einigen können, das aber in der konkreten Umsetzung unterschiedliche, wenn nicht sogar gegensätzliche Positionen einnimmt. Vincenzo Ostuni, Herausgeber der Reihe Poesia des Verlags Ponte alle Grazie, die fast ausschließlich Autoren der Vergangenheit gewidmet ist, hebt hervor, dass es „einen florierenden Kreis hervorragender Projektverlage mittlerer, aber vor allem kleiner und kleinster Größe gibt, deren Reihen für Lyrik und ‚hybride‘ Schriften oft von einigen der besten Kritiker und Dichter herausgegeben werden“. Im Gegensatz zu diesen Verlagen, die, „obwohl sie unter mangelnder Sichtbarkeit in den Buchhandlungen leiden, alles tun, um die besten neuen Stimmen zu verbreiten“, stellt Ostuni auf Seiten der großen Verlage „eine verzweifelte Verflachung und Ausdünnung der Dichtkunst und die Ablehnung jeder auch nur vage experimentellen Option“ fest.
Mauro Bersani, Chef der mehr als etablierten “bianca” Einaudi Reihe ist überzeugt, dass „je mehr Lyrik veröffentlicht wird, desto besser für alle Verlage“, unabhängig von ihrer Größe, und gibt unumwunden zu, dass kleine Verlage „ein wertvolles Reservoir an jungen Dichtern bereitstellen, die man ‚klauen‘ kann“. Für Fabio Pusterla und Massimo Gezzi, die die Lyrikveröffentlichungen des Verlags Marcos y Marcos kuratieren, ist nichts überraschend, denn sie versuchen, den „verschiedenen Arten der zeitgenössischen poetischen Sprache“ nachzugehen: Und wenn Pusterla vor allem hofft, dass „die Schulen künftige Leser ausbilden – für die Poesie und ganz allgemein für gute Bücher“, so weist Gezzi genau darauf hin, dass „vor allem bei den jungen Leuten die Dichter, die sich einen Namen machen, wirklich von unten kommen, von Verlagen, die weniger gerüstet sind als die großen Marken, aber wahrscheinlich aufmerksamer für die gerade entstehende Lyrik sind, für die neuen Entwicklungen, trotz der Schwierigkeiten beim Vertrieb“. Deshalb, so sagt er, „kann die Wahl eines Gedichtbandes aus einem kleinen oder mittleren Verlag eine bedeutende Geste sein – kulturell und politisch“.