Leonardo da Vinci in anderen Sprachen
Autor: Roberto D’Urso (Università di Napoli L’Orientale – Université de Caen-Normandie)
Die Verwendung ist immer noch weit verbreitet und wird international durch die bahnbrechenden und beeindruckenden Werke von Jean Paul Richter kanonisiert (The Literary Works of Leonardo da Vinci, 1. Aufl. 1883; 2. Aufl. 1939, gemeinsam herausgegeben von seiner Tochter Irma A. Richter) und Edward Mac Curdy (The Notebooks of Leonardo da Vinci, 1. Aufl. 1939), um Anthologien von Leonardos Schriften zu veröffentlichen, die thematisch und/oder nach literarischen Genres geordnet sind und oft mit einem Korpus von Illustrationen ergänzt werden. Auch wenn solche verlegerischen Aktivitäten den unbestreitbaren Vorzug haben, Leonardos magmatische Notizen eine Ordnung und Form zu verleihen und sie so auch einem sehr großen Publikum zugänglich zu machen, neigen sie dazu, die komplexe Verflechtung von Wörtern und Bildern, die die Papiere des Meisters von Vinci ausmachen, zu durchbrechen, insbesondere in Sammlungen populärerer Natur, und hindern uns manchmal daran, den Dialog zwischen aufeinanderfolgenden Teilen auf einer Seite wahrzunehmen, die je nach gewähltem Ordnungskriterium in verschiedenen Abschnitten angeordnet sind. Dennoch bestätigt eine sorgfältige bibliografische Untersuchung, dass sich dieser Ansatz weltweit weitgehend etabliert hat und bis heute die am weitesten verbreitete Form darstellt, um Leonardos Seiten den Lesern zu präsentieren.
Schränkt man den Zeitraum ausschließlich auf die letzten zwanzig Jahre ein, gibt es zahlreiche Veröffentlichungen von Leonardo-Anthologien, die immer noch dazu neigen, den Referenztext auf die beiden illustren Vorbilder von Richter und Mac Curdy zu stützen. In Frankreich, der zweiten Heimat Leonardos und daher einem Land, das schon immer alles, was sein Werk betrifft, sehr aufmerksam verfolgte, hat Christophe Mileschi zwei kleine Bände herausgegeben, die Texten gewidmet sind, die eindeutig literarischen Vorbildern zuzuordnen sind: Maximes, fables & devinettes und Hommes, bêtes et météores (veröffentlicht 2001 bzw. 2007 für Arléa); wurde 2005 von Gallimard veröffentlicht (und 2015 nachgedruckt) und enthält eine erfolgreiche Auswahl von Auszügen aus Carnets (d. h. Mac Curdys Anthologie mit der etablierten Übersetzung von Louise Servicen, beendet 1942) mit dem Titel Prophéties précédé de philosophie et aphorismes, während im Jahr 2019, anlässlich des 500. Todestages von Leonardo, die gesamte Sammlung der Carnets erneut von Gallimard (Sammlung „Quarto“) mit zahlreichen Illustrationen, einer Einleitung von Paul Valéry und Kommentaren des Leonardi-Forschers Pascal Brioist neu aufgelegt wurde.
Auch im angelsächsischen Raum hat die Faszination, die der großartige toskanische Künstler ausübte, zu einer auffälligen Produktion von Anthologien seiner Schriften geführt. Neben der Neuveröffentlichung der mittlerweile „klassischen“ Sammlungen (diesbezüglich nennenswert ist der Nachdruck der Notebooks, herausgegeben von Irma A. Richter, erschienen 2008 in der Oxford World Classics-Reihe, mit einem Vorwort von Martin Kemp und einer Einführung von Thereza Wells) ist es angebracht, einige populärwissenschaftliche Arbeiten zu erwähnen, die keinen spezifischen Kommentar enthalten und von einigen Bildern begleitet werden, wie beispielsweise der von William Wray herausgegebene Band Leonardo da Vinci in His Own Words (2005) und die von Emma Dickens herausgegebene Anthologie The Da Vinci Notebooks (1. englische Ausg. 2005; 1. Ausg. USA 2006). Einen ganz anderen Ansatz verfolgte dagegen die amerikanischen Wissenschaftlerin H. Anna Suh in dem Band Leonardo’s Notebooks (1. Aufl. 2005, Black Dog & Leventhal), der eine große Auswahl an Reproduktionen von Leonardos Blättern enthält, einhergehend mit der Transkription – in englischer Übersetzung – der darin enthaltenen Passagen; Jedem der verschiedenen thematischen Abschnitte, aus denen das Buch besteht, geht außerdem eine Einführung der Kuratorin voraus. Die von Suh ausprobierte Formel erwies sich als durchaus überzeugend, so dass der Band wiederum Übersetzungen in verschiedene Sprachen (Spanisch, Deutsch, Französisch und Polnisch) anregte.
Auch auf der iberischen Halbinsel sind zahlreiche Ausgaben ausgewählter leonardischer Schriften dokumentiert. Was die Übertragungen in die kastilische Sprache betrifft, so erschien 2003 von EDIMAT der Band Cuaderno de notas, eine Auswahl von Abschnitten, übersetzt von José Luis Velaz, mit einer Einleitung von Miguel Angel Ramos; 2005 wurde den spanischen Lesern die bekannte leonardische Anthologie Scritti letterari (Literarische Schriften) herausgegeben von Augusto Marinoni, übersetzt von Giovanna Gabriele Muñiz (Escritos literarios, Verl. Alianza) angeboten, während eine weitere Sammlung leonardischer Passagen, übersetzt von Celia Akram, angeboten wurde, 2015 unter dem Titel Cuaderno de Notas (Verl. Pluton) neu aufgelegt wurde. Dazu kommt noch die portugiesische Ausgabe Bestiário, fábulas e outros escritos (Verl. Assírio & Alvim, 2005), übersetzt von José Colaço Barreiros, und die auf Katalanisch, Profecies i altres textos, übersetzt von der Schriftstellerin Susanna Rafart i Corominas.
In Deutschland verdankt man die Veröffentlichungen – von Schirmer/Mosel – einer Anthologie leonardischer Schriften über die Bewegungen des Wassers Das Wasserbuch (1. Aufl. 1996; Rest. 2012) und des leichten, kleinen Bandes mit dem Titel Die Aphorismen, Rätsel und Prophezeiungen (respektive Gli aforismi, gli indovinelli e le profezie; I Aufl. 2003) der angesehenen Übersetzerin wie Marianne Schneider. Eine weitere prägnante Sammlung von Auszügen aus Leonardos Notizbüchern mit Illustrationen mit dem Titel Aus den Notizbüchern (Deutscher Taschenbuch, 2007), wurde von Isabella Maurer herausgegeben und übersetzt.
Wenn wir in Nordeuropa bleiben, ist sicherlich die besondere Blüte der zwischen Belgien und den Niederlanden konzentrierten Veröffentlichungen erwähnenswert, deren Verdienst im Wesentlichen der Übersetzungsarbeit des flämischen Dichters Patrick Lateur zuzuschreiben ist, Herausgeber einiger hochwertiger thematischer Sammlungen, Fabels, Raadsels & Voorspellingen, Maximes – respektive Fiabe, Indovinelli e profezie, Massime (jeweils 2001, 2006 und 2009, Verl. Uitgeverij P), Bestiarum (Verl. Voltaire, 2007), aber auch dem umfangreicheren Band Leonardo literair, erschienen 2019 bei Athenaeum-Polak & Van Gennep, der die Früchte früherer Bemühungen sammelt und integriert.
Als Nachweis für die wirklich große Beliebtheit des Künstlers aus Vinci wird noch kurz darauf hingewiesen, dass Anthologien mit Stücken aus seinen Notizbüchern auch in Polen (Pisma Wybrane, 2002), Serbien (Sveske Leonarda da Vincija, 2011), Rumänien (Jurnal, 2013) und in Ungarn (Aforizmák és rajzok, 2014) veröffentlicht wurden.