In anderen Sprachen
8 Januar 2024

Pier Paolo Pasolini in anderen Sprachen – Dritter Teil

Autor: Martine Van Geertruijden (University 'La Sapienza', Rome)

Pier Paolo Pasolini in anderen Sprachen – <i>Dritter Teil</i>

Pasolinis Beziehung zu Frankreich ist zweifellos eine der leidenschaftlichsten und langlebigsten. Bezüglich seiner Verbindungen zu französischen Intellektuellen genügt es, sich nach der viel diskutierten Vorführung von Das 1. Evangelium – Matthäus im Jahr 1964 an seinen Dialog mit Sartre im Caffè du Pont Royal zu erinnern. Ein berühmt berüchtigtes Treffen während dessen der Autor von Nausée ihn gegenüber einigen linken Intellektuellen verteidigte, die ihn anfochten. Oder an Foucaults Rezension von Comizi d’amore in „Le Monde” von 1977, bzw. an Gilles Deleuzes Kommentar, der in Häretischer Empirismus einen der relevantesten philosophischen Texte der zweiten Hälfte des 20. Jh. in Italien sah. Diese Zeugnisse zeigen jedoch, dass die filmische Arbeit auch in der französischen Rezeption einen vorherrschenden Platz einnimmt. 

Obwohl die Romane schon sehr früh übersetzt wurden (Ragazzi di vita und Vita violenta übersetzt von Michel Beitman, wurden 1958 bzw. 1961 im kleinen Verlag Buchet-Castel veröffentlicht), drängt sich der Autor mit der Projektion des Evangeliums in die französische Kulturdebatte. Nach der Übersetzung von Der Traum von einer Sache (dem ersten von Gallimard veröffentlichten Titel, der später die meisten seiner Bücher herausgab), kam der große Erfolg 1969 mit dem Kinostart von Teorema – Geometrie der Liebe, ein Film, den François Mauriac als Meisterwerk bezeichnete. Der Roman wurde jedoch erst zehn Jahre später von José Guidi übersetzt (Teorema – Geometrie der Liebe war allerdings nicht nur eines der am häufigsten übersetzten Bücher Pasolinis, sondern wurde auch unmittelbar nach der Veröffentlichung des Films auf den Filmfestspielen in Venedig 1968 und nach der Kontroverse, die er nicht nur in Deutschland, Brasilien und Japan, sondern auch in einigen anderen Ländern wie Dänemark, Polen und Finnland auslöste, die seinen übrigen Werken wenig Interesse widmeten, herausgegeben). Alle oder fast alle dieser verlegerischen Initiativen standen im Zusammenhang mit dem Filmemacher Pasolini, und trotz der engen Beziehungen zur französischen Intellektuellenwelt (oft vermittelt durch seine Freundin Maria Antonietta Macciocchi) erfolgte die wahre Entdeckung des Dichters, Romanciers und Polemikers erst nach dessen Tod, der in Frankreich sehr große Emotionen und ein großes Presseecho hervorrief. Ab 1975 folgten die französischen Publikationen oft dicht hinter den italienischen. 1976 erschien sowohl Écrits corsaires (übers. von Philippe Guilhon) als auch L’expérience hérétique (Ketzererfahrungen., übers. von Anna Rocchi Pullberg, die auch Lettres luthériennes übersetzte, aber erst im Jahr 2000); 1980 La divine mimesis (übers. von Danièle Sallenave), Le Père sauvage (übers. von José Guidi) et Dialogues en public, 1960-1965 (übers. von François Dupuigrenet-Desroussilles); 1983 Amado Mio. Zwei Romane über die Freundschaft.und 1984 Descriptions de descriptions et L’Odeur de l’Inde, beide übersetzt von René de Ceccatty, der 1995 auch Pétrole nel 1995 und 1998 Histoires de la cité de Dieu übersetzt hat. Zusammen mit José Guidi bezüglich der Dichtung und Jean-Paul Manganaro bezüglich der jüngsten Neuübersetzungen der beiden bedeutendsten Romane hat sich de Ceccatty praktisch als wichtigste französische Stimme von Pasolini etabliert und in den letzten Jahren auch mehrere Gedichtbände vorgeschlagen und übersetzt, aus Adulte ? Jamais : una anhologie 1941-1953(2013), über La Persécution : une anthologie, 1954-1970 (2014), Poésie en forme de rose (2015) bis hin zu La religion de mon temps (2020). Außerdem verstärkte er das Wissen um Pasolinis Vielseitigkeit, sowohl durch seine Übersetzungen zweier italienischer Biografien, der von Enzo Siciliano, Pasolini, biographie (1991), und der von Nico Naldini, Pasolini: une vie (1996 ) sowie von Correspondance générale: 1940-1975 (1995); aber auch mit seinem Pasolini, das 2005 veröffentlicht und dann anlässlich des 100. Jahrestages 2022 erweitert und durch alle neuen Informationen, die sich aus den verschiedenen Untersuchungen zur Ermordung des Schriftstellers ergaben, ergänzt wurde. Besonders hervorzuheben ist schließlich der Mut der Übersetzer aus dem Friaul, Nathalie Castagné und Dominique Fernandez bezüglich der Übersetzungen von Poèmes de jeunesse et quelques autres (1995) et Vigji Scandella per Poèmes oubliés (1996) et Dans le cœur d’un enfant (2000).

Auch deutsche Leser haben heute Zugang zu einem guten Teil von Pasolinis Werk, aber auch hier zeigt die Chronologie der Übersetzungen eine von sehr eigenartigen Zügen geprägte Rezeption. Zunächst fällt im internationalen Vergleich das Erscheinungsdatum von Ragazzi di vita in der Übersetzung von Mosche Kahn auf: 1990, mehr als dreißig Jahre nach seiner Veröffentlichung in Italien. Bezeichnend ist unter anderem, dass der Roman erst 1992 auch auf Niederländisch veröffentlicht wurde (Jongens uit het leven übersetzt von Henny Vlot), während mir nicht bekannt ist, dass er in eine skandinavische Sprache übersetzt worden wäre. Tatsächlich ist Pasolinis Bibliographie hier noch sehr spärlich und oft auf einige wenige poetische Anthologien oder Essays beschränkt. Lediglich im Falle Schwedens ist die Bibliographie insbesondere in Bezug auf Dichtung und Theatertexte umfangreicher: Bereits 1975 erschien Gramscis aska (Gramsci’s Asche), übersetzt von Arne Lundgren im kleinen Verlag René Coeckelberghs Bokförlag in einer Gedichtreihe, „Tuppen på berget – (Der Hahn auf dem Berg) unter der Regie von Artur Lundkvist, der in diesem Jahr acht Titel veröffentlichte, darunter Borges, Éluard und Guillén. In der Reihe Cartaditalia Bokserie, die 2010 von Paolo Grossi in Stockholm zusammengestellt wurde, erschienen die Übersetzungen von Amado mio (Gustav Sjöberg, 2010) und Königsmord/Pylades (Carl Henrik Svenstedt, 2012). Dieses mangelnde Interesse an den Themen von Pasolinis Prosa, d. h. der Situation des wirtschaftlichen und moralischen Elends, in der Menschen am Rande der städtischen Zentren lebten, Ikonen des aufkeimenden Konsumismus, ist bezeichnend. Offensichtlich waren diese sozialen, politischen und ästhetischen Themen Italiens weit entfernt von der kulturellen Debatte der Länder, in denen der Untergang der bäuerlichen Zivilisation unaufhaltsam war. 

Wenn wir nun nach Deutschland zurückkehren so waren außer Vita violenta, übersetzt 1963 von Gur Bland, die einzigen in dieser Zeit ausgeführten Übersetzungen die von Sogno di una cosa, Der Traum von einer Sache, wobei es kein Zufall ist, dass der Titel 1968 (übers. von Hans Otto Dill) in der damaligen DDR und erst 1983 im Westen herauskam. Noch bedeutsamer ist die Veröffentlichung von Teorema oder Die nackten Füße (übers. von Heinz Riedt) im Jahr 1969, ein Zeichen dafür, dass der Autor auch hier vor allem als Filmemacher entdeckt und geschätzt wurde.

In Deutschland änderte sich diese Situation vor allem dank des bedeutenden Verlegers, Klaus Wagenbach, der sich1978 auf den ersten Blick in Pasolini verliebte: „Kaum hatte ich die Freibeuterschriften gelesen, habe ich Garzanti angerufen. Dort sagte man mir, dass ich der sechste deutsche Verlag sei, der sich über die Optionen auf die Autorenrechte informiere. Moral der Geschichte: Als die anderen diese antibürgerlichen, antikatholischen, antikommunistischen Artikel lasen, zogen sie sich einer nach dem anderen zurück. Und ich habe diesen wunderbaren verrückten Kopf Pasolini veröffentlicht.“ Die erste Ausgabe (Freibeuterschriften, übers . von Thomas Eisenhardt) war ein voller Erfolg. Diesmal traf die Polemik gegen Konsumismus, die Idee der anthropologischen Mutation usw. den Nerv der deutschen Sensibilität, insbesondere der Grünen, für die das Werk zu einer Art Bibel wurde. Vor allem aber arbeiteten Wagenbach und andere Verlage fortan daran, bisherige Verzögerungen aufzuholen und veröffentlichten zunächst die Sachbücher (1979 Ketzererfahrungen, übers. von Reimar Klein; 1983 Lutherbriefe, übers. von Agate Haag und Auswahl: Literatur und Leidenschaft, bzw. Passione e ideologia, das die Deutschen meines Wissens nach als einzige übersetzt haben). Dem folgte die Dichtung mit Gramsci’s Asche, das 1980 endlich von Toni und Sabina Kienlechner übersetzt wurde, die dem zwei Jahre später zunächst die Anthologie Unter freiem Himmel mit Werken aus allen Sammlungen folgen ließen und 1989 Die Nachtigall der katholischen Kirche anschlossen. (übers. von Toni und Bettina Kienlechner). Mittlerweile ist auch Prosa auf Deutsch erhältlich: Barbarische Erinnerungen. La Divina Mimesis, 1983, Amado mio (1984 übers. von Maja Pflug), Ali mit den blauen Augen (1990 übers. von Bettina Kienlechner und Hans Peter Glücker), Petrolio (1994, übers. von Moshe Kahn) und Geschichten aus der Stadt Gottes (Storie della città di Dio 1996, übers. von Annette Kopetzki). Wie in Frankreich stehen auch die Korrespondenz (1991, Briefe (1940-75), Übersetzung von Maja Pflug) und die Biographien von Enzo Siciliano und Nico Naldini zur Verfügung.

Diese rationale Bestandsaufnahme ist derzeit auf den europäischen und amerikanischen Kontinent beschränkt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in allen Ländern, insbesondere zu bestimmten Zeiten, die Peinlichkeit oder der Skandal, die besondere Religiosität und alle charakteristischen Merkmale der Figur Pasolinis (Homosexualität, bürgerliches und politisches Engagement, das polemische Ungestüm) die Art und Weise seiner Verbreitung und Rezeption im Ausland stark beeinflusst haben. Beide Aspekte sollten getrennt untersucht werden und dabei nicht nur die übersetzten Titel, sondern auch die Verlage, die jeweils hinter den Veröffentlichungen stehen, und die Rezeption, die die Presse einerseits und die Universitätskritik andererseits seinen Werken entgegenbrachte.

Angesichts der zahlreichen Veranstaltungen zum 100. Jahrestag ist heute eine abschließende Reflexion erforderlich. Mittlerweile scheint sich in vielen Ländern die Attraktion Pasolinis Werk für das Publikum noch mehr als am Filmemacher an seine Figur als Intellektueller festzumachen, der gesellschaftliche Veränderungen, die Vergangenheit wie die Gegenwart hinterfragt und auf eine seltene Weise ein reflektiertes Gesamtbild über Kultur erstellt. Dies zeigen auch die fast überall auftauchenden thematischen Prosa- und Lyrik-Anthologien, in denen das Thema der anthropologischen Mutation und die Kritik an einer durch wirtschaftliche Entwicklung und den Einfluss der Massenmedien bedingten Gesellschaft einen besonderen Schwerpunkt haben. Abschließend möchte ich die spanische Übersetzung Manual corsario erwähnen, ein Werk, das eine Reise durch Pasolinis umfangreiches Werk nachzeichnet und die bedeutendsten Texte des Autors mit kurzen biografischen Essays und kritischen Beiträgen von Fachleuten abwechselt.

Pier Paolo Pasolini in anderen Sprachen – <i>Dritter Teil</i>
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