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10 Oktober 2023

Interview mit Eugenia Dubini, Gründerin des Verlags NN

Autor: Laura Pugno

Interview mit Eugenia Dubini, Gründerin des Verlags NN

Diese neue Folge der Interviewreihe von newitalianbooks mit Verlagsleiter-/innen, Lektor/-innen und Herausgeber/-innen von italienischen Verlagen wird fortgesetzt mit Eugenia Dubini, Gründerin und Lektorin von NN, die uns die folgende Frage beantwortet: „Wie würden Sie die italienische Belletristik von NN den Leserinnen und Lesern im Ausland beschreiben? Was hat sie für Merkmale und Stärken? Welche literarischen und anderen Buchvorschläge haben im Ausland am besten funktioniert und warum, Ihrer Meinung nach?“

 

 

Eugenia Dubini:

Den Verlag NN habe ich 2015 gegründet, er ist also eine ziemlich junge Realität in der italienischen Verlagslandschaft. Der Verlag hatte unter anderem das immense Glück und Verdienst, mit dem Autor Kent Haruf auf die Szene zu treten, der das Herz der italienischen Leserinnen und Leser eroberte und mit  Our Souls at Night (deutscher Titel: Unsere Seelen bei Nacht) den ersten Platz in der Bestsellerliste erreichte. Dieses außerordentliche Ereignis schrieb aber in den Augen des Publikums einen Teil unserer Verlagsgeschichte: In den ersten Jahren identifizierte uns die Leserschaft als Verlag von Kent Haruf und damit als spezialisiert auf amerikanische Belletristik. Und obwohl wir am Anfang englischsprachigen Werken eine gewisse Priorität eingeräumt haben, denken wir immer an eine alles verschlingende, neugierige Leserschaft, die offen ist, Genres und Geografien zu wechseln.
NN, nescio nomen, unbekannter Name: Das war die Aufschrift auf dem Ausweis, wenn der Vater den Namen des Sohnes oder der Tochter nicht anerkannte. ‚Kinder von NN‘ bedeutet also auch eine erzählerische Recherche über die Identität in einer Gesellschaft ohne Väter, in der Gegenwart, in der Mühe, die traditionellen Rollen einzunehmen, in der Suche nach einem eigenen Platz in der Welt. Wir haben den Katalog nicht schematisch in Reihen aufgebaut, sondern uns an Serien und Jahreszeiten – Stagioni – angelehnt: Ein roter Faden verbindet die Bücher im Hinblick auf das Hauptthema, die zugrunde liegende Frage, so dass die Suche nach Identität verschiedene Bereiche durchzieht.

Und in dieser Produktion, die nach wie vor 20 Titel pro Jahr umfasst, galt ein offener Blick immer auch den italienischen Schreibenden: Zu den aktuellsten Angeboten gehören Anna Siccardi mit La parola magica, Michele Vaccari mit Urla sempre, primavera, Sara Gamberini mit Infinito Moonlit, das von Chiara Gamberale für den Premio Strega vorgeschlagen wurde; Gianmarco Perale mit seinem zweiten Roman, Amico mio, der von Walter Siti bei uns eingeführt wurde. Demnächst erscheinen Damiano Scaramella und Daniele Pasquini.

Gleichzeitig haben wir vom ersten Jahr an Projekte mit geschlossenen Serien in gemeinsamer Inspiration von Verlag und Autor/-in initiiert. Das erste war ViceVersa, über Laster und Tugenden in der Gegenwart, und dann CroceVia über die Wörter der christlichen Tradition, deren Sinn sich im allgemeinen Sprachgebrauch im Laufe der Zeit verändert hat. In diesen Reihen erschienen zum Beispiel Panorama von Tommaso Pincio (Premio Sinbad 2015) und Di ferro e d’acciaio von Laura Pariani (Premio Mondello 2018), und schließlich Maestro Utrecht von Davide Longo, das wir am Jahresende in unsere Stagione 2023 aufnehmen werden.

Erst 2018 haben wir unsere Aufmerksamkeit den italienischen Debüts zugewandt. Es schien uns wesentlich, ihnen Raum im Katalog zu geben. Die Serie wurde „Gli Innocenti“ (die Unschuldigen) genannt, eine Gegenstimme zu den „Kannibalen“ vor einiger Zeit. Bei der Recherche haben wir nach Möglichkeit ehrliche, offene, direkte, Pop- und kontaminierte Stimmen gesucht und ihnen den Vorrang gegeben und sowohl auf die Erzählung von Orten als auch die Sprache geachtet – eine Sprache, die auch Risiken auf sich nehmen, Wagnisse eingehen kann. In der Reihe erschienen Roberto Camurri (Premio Procida 2018, Premio Pop 2018), Alessio Forgione (Premio Berto 2018, Premio Intersezioni und einer der zwölf nominierten Kandidaten für den Premio Strega 2019), und dann Autoren wieAndrea Donaera, Pier Lorenzo Pisano (Selezione Premio Calvino 2022), Claudia Bruno, um nur einige zu nennen. In unserer Debütreihe erscheinen dann Alessio Parmigiani, der von der Scuola Holden kommt, und Rosanna Turone, die von Paolo Nori bei uns eingeführt wurde.

Schließlich haben wir 2021 eine neue, ganz weibliche Serie begonnen. Sie heißt Le Fuggitive (Die Flüchtenden) und es sind die grell pinkfarbenen Bücher in unserem Katalog, die uns eine neue Welle mit Stellungnahmen und Begeisterung bei der Leserschaft eingebracht haben: Ein jüngeres Publikum, das sich auf die Serialität des Angebots verlässt und sich für Themen der Genderidentität interessiert. Die Reihe umfasst Autorinnen, die Identitätsgeschichten erzählen, in denen die Protagonistinnen sich nicht in den traditionellen Frauenmodellen und auch nicht in den aktuelleren des Feminismus und Post-Feminismus wiederfinden. Die eigene Stimme finden, den eigenen Wünschen folgen, auch im Kontrast zu den Modellen und Paradigmen – das ist das Thema der Serie, die mit Megan Nolan, Acts of desperation (deutscher Titel: Verzweiflungstaten) eröffnet wurde. In der Idee, Geschichten von Frauen aus verschiedenen Ländern nebeneinander zu stellen, haben wir hier den Roman von Olga Campofreda, Ragazze perbene, veröffentlicht, der dieses Jahr von Gaia Manzini für den Premio Strega vorgeschlagen wurde. Olga Campofreda ist derzeit in Italien auf Lesereise mit über 50 Daten, und es ist wunderbar, diese Buchvorstellungen mitzuerleben, weil sie einen intensiven Austausch mit dem Publikum hervorrufen.

Nach diesem Überblick – auch um NN als Projekt-Verlag darzustellen, der seinen Weg heute mit Vorschlägen und in der Kommunikation mit der Leserschaft sucht, die für uns wesentlich ist – komme ich zum internationalen Aspekt, den wir mit Hilfe der Kompetenz der Agentur Malatesta pflegen. Sie kümmert sich um unsere Autorinnen und Autoren im Ausland.

Unsere verlegerischen Entscheidungen sind geprägt von der sowohl linguistischen als auch inhaltlichen und formalen Recherche, ohne dabei je das Leseerlebnis zu vernachlässigen, die Zugänglichkeit des Textes, als Leitkriterium für die Auswahl im Mare Magnum der Angebote. Der Blick auf Italien ist da, er ist wesentlicher Teil der Geschichte und der Sprache in den Romanen, die wir veröffentlichen, aber es geht dabei nie um ein stereotypes Postkarten-Italien, sondern stets um ein Land, das als Spiegel der sozialen und kulturellen Veränderungen dargestellt wird, die vor unseren Augen geschehen, und wie sie sich auf das Leben der Menschen auswirken. Denn dieser Blick, möchte ich betonen, prägt die Sprache, mit der er erzählt wird.

Die Aufnahme unserer jungen Autorinnen und Autoren im Ausland hat große Erfolge gehabt, so im Fall von Roberto Camurri (Holland, Spanien und Deutschland) und Alessio Forgione (Frankreich, Russland, Griechenland). Diese Texte haben die ausländischen Verlage erobert; andere dagegen haben sich langsamer ihren Weg gebahnt, so Andrea Donaera in Frankreich.

Als Verlegerin weiß ich, dass dies von vielen Umständen abhängt, die nicht nur mit dem Erfolg des Buches in Italien zu tun haben, sondern auch mit Interessenwellen, Moden, die sich schnell bewegen – so war es nach dem enormen Erfolg von Elena Ferrante und dem Italien, von dem sie erzählt.

Aber die Aufnahme der Bücher von NN im Ausland wird häufig erst im Nachhinein wahrgenommen, und dann ist es eine große Befriedigung, denn es scheint mir eine weitere Bestätigung für den Weg, den wir von Anfang an eingeschlagen haben: nämlich ein Buch, einen Namen vorzuschlagen, der einen Nerv getroffen hat, der eine in gewisser Weise universelle Frage stellt, wie es meiner Ansicht nach die Literatur immer machen müsste.

 

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