Das italienische Buch in den Niederlanden und Flandern (Belgien)
Autor: Raniero Speelman, docente universitario di italiano e traduzione e traduttore letterario
Zwei parastaatliche Einrichtungen
Zwei halbstaatliche Institute, Nederlands Letterenfonds und Vlaams Letterenfonds, subventionieren literarische Übersetzungen aus dem und ins Niederländische in den Niederlanden und Flandern (Belgien). Beide Länder arbeiten im Verlags- und Bildungswesen intensiv zusammen. Auf diesen Seiten betrachten wir die Übersetzungen ins Niederländische im Dreijahreszeitraum 2019-2021. Was das Italienische angeht, ist die Rolle des Nederlands Letterenfonds (mit 44 Titeln) relevanter als die des Instituts in Antwerpen (mit nur einer Übersetzung). Auch hinsichtlich der Unterstützung unterscheiden sich die beiden Institute: Während in den Niederlanden Übersetzungen aus dem Englischen bei Weitem vorherrschen (sie stellen fast die Hälfte der genehmigten Projekte dar, gefolgt von Deutsch und den drei großen romanischen Sprachen), ist in Flandern Französisch die am stärksten unterstützte Sprache, gefolgt von Deutsch und Englisch. Der Nederlands Letterenfonds wählt die Bewerbungen nach vielfältigen Kriterien aus: Dazu gehören die literarische Qualität des Projekts, der Lebenslauf des Übersetzers, der Vertrag zwischen Verlag und Übersetzer, die philologische Sorgfalt, gegebenenfalls die besondere Schwierigkeit des Textes. Eine Fachkommission (aus Akademikern oder Übersetzern), deren Mitglieder für zwei Jahre ernannt werden (mit einer Verlängerungsmöglichkeit), ist damit beauftragt, die Zuschüsse zuzuweisen. Innerhalb des Letterenfonds ist ein spezifischer Bereich, Schwob, für die Unterstützung der modernen Klassiker bestimmt.
Übersetzer/-innen
Wenn wir die Übersetzungen anschauen, die tatsächlich mit Unterstützung der beiden Letterenfondsen veröffentlicht wurden, stellen wir fest, dass viele Übersetzer/-innen Beiträge für mehrere Titel erhalten haben, auch im Laufe eines Jahres. Im betrachteten Zeitraum sind auch Übersetzer von nur einem Buch vorhanden, aber es sind bei weitem mehr, die weitere Unterstützung erhalten haben, wie Manon Smits (10 Titel), Jan van der Haar (6 Titel), Henrieke Herber (5), Pieter van der Drift (4), Pietha de Voogd, Els van der Pluijm, Mara Schepers und Mirjam Bunnik (3). Dies zeigt, dass einige Übersetzer/-innen dank des Letterenfonds mehr oder weniger in Vollzeit arbeiten können und ihnen dabei ein sicher nicht üppiges, aber doch wenigstens anständiges Gesamteinkommen sicher ist. Unter den Büchern, die Beiträge vom Letterenfonds erhielten, finden wir viele Texte, die als komplex und schwer zu übersetzen gelten bzw. besonders lang sind, wie die Werke von Antonio Scurati über Mussolini, der Roman von Dolores Prato Unten auf der Piazza ist niemand oder Lüge und Zauberei von Elsa Morante, oder Werke, die längst als moderne Klassiker zu betrachten sind, wie Il compagno dagli occhi senza cigli von Gabriele d’Annunzio, eine Neuübersetzung einer großen Auswahl aus Pirandellos Novellen für ein Jahr Morantes Arturos Insel und ein Band mit Kriegsreportagen von Curzio Malaparte, Die Wolga entspringt in Europa).
Das bedeutet nicht, dass das System den Nachwuchs vernachlässigt. Im Gegenteil, der Nederlands Letterenfonds arbeitet mit der Universität Utrecht im Expertisecentrum Literair Vertalen (ELV, „Gutachterzentrum für Literaturübersetzung“) an der Organisation von Fortbildungs- und Begegnungsmöglichkeiten für junge Übersetzende zusammen, und die Zeitschrift „Filter“ ist eine wichtige Anlaufstelle für Studierende des Masterstudiengangs in Übersetzungswissenschaften an dieser Hochschule. Aber nur wenige Studierende entscheiden sich für die ungewisse Zukunft des Literaturübersetzers. Viele Verlage zögern zudem, Aufträge an Übersetzer/-innen zu vergeben, die sie nicht kennen, und bevorzugen bewährte, zuverlässige Kontakte. Demzufolge bleibt die Welt der Literaturübersetzung stärker geschlossen, als es sein könnte.
Nicht wenige Übersetzende arbeiten im Tandem. Abgesehen von den erwähnten festen Partnerschaften arbeiten in der Regel Mieke Geuzebroek und Pietha de Voogd, Mirjam Bunnik und Mara Schepers, manchmal auch Henrieke Herber und Ada Duker zusammen. Der Qualität des Endprodukts kommt eine solche Zusammenarbeit positiv zugute.
2021 war eine Version der Danteschen Hölle in freien Versen und einer gemischten Sprache aus Poetry Slam, Spoken Words und Rap von der Flämin Lies Lavrijsen, die sich an die heutige Jugend richtet, eine wahre literarische Sensation. Kurioserweise handelte es sich um die einzige Übersetzung, die zwischen 2019 und 2021 vom Vlaams Letterenfonds unterstützt wurde. Die Arbeit wurde stark kritisiert wegen der Streichung der Namen des Propheten Mohammed und seines Schwiegersohns Ali, die ausgelassen wurden, um die Leserschaft islamischen Glaubens nicht zu verletzen. Wenn es auch legitim ist zu behaupten, dass die beste Werbung – wie schon Marinetti wusste – die Gratiswerbung ist, glaube ich jedoch nicht, dass das Buch ein Verlagserfolg war. Lavrijsen hatte nicht viel Erfahrung mit der Übersetzung aus dem Italienischen, und Dante bietet sich vielleicht nicht gerade für die Street Language an.
Genres und Autor/-innen
Unter den übersetzten Titeln finden wir viele Werke von heutigen Autorinnen und Autoren, von denen einige bereits europaweiten Ruhm genießen, wie Silvia Avallone (Bilder meiner besten Freundin), Alessandro Baricco (The game), Paolo Cognetti (Das Glück des Wolfes), Donatella Di Pietrantonio (Borgo Sud), Elena Ferrante (Das lügenhafte Leben der Erwachsenen), Paolo Giordano (Le cose che non voglio dimenticare), Nicola Lagioia (Die Stadt der Lebenden), Paolo Maurensig (Der Teufel in der Schublade), Matteo Righetto (L’ultima patria), Sandro Veronesi (Cani d’estate). Unter den etwas weiter zurückliegenden Texten seien genannt: Roberto Calasso (Der himmlische Jäger, Das Buch aller Bücher), Fleur Jaeggy (eine überarbeitete Übersetzung von Die seligen Jahre der Züchtigung, Wasserstatuen), Giorgio Bassani (Epitaffio). Es fehlen auch Autoren wie Davide Morosinotto nicht (Verloren in Eis und Schnee, Der Ruf des Schamanen, Shi Yu), der mit sogar drei Titel ein Erfolgsautor beim jungen Publikum ist, und Christian Frascella, ebenfalls mit drei Krimis etwa für die gleiche Zielgruppe. In den letzten Jahren haben Krimis Made in Italy nicht den gleichen Erfolg gehabt wie skandinavische Titel. Dennoch sind Andrea Camilleri, Giancarlo De Cataldo und Roberto Saviano auch in den Niederlanden berühmt (und werden übersetzt).
Übersetzungen, die nicht von den Letterenfondsen unterstützt werden
Obwohl die meisten Übersetzungen von seriösen Büchern mit erwiesener literarischer Qualität über die Letterenfondsen gefördert werden, gibt es auch Bücher, die ohne öffentliche Unterstützung erscheinen, denn in einigen Fällen ist das Einkommen des Übersetzenden höher als die für die Subventionen vorgesehene Grenze. Dann machen andere Institute den Letterenfondsen Konkurrenz, wie im Fall der skandinavischen Sprachen, für die wenige Anträge vorliegen, weil es lokale Einrichtungen gibt (wie Norla, Zentrum für norwegische Literatur im Ausland), die Übersetzungen aus dem Norwegischen, Dänischen, Schwedischen und Isländischen unterstützen.
Für das Italienische setzt sich das Außenhandelsministerium über das Kulturinstitut in Amsterdam ein, das 2021 die Veröffentlichung eines Romans von Giorgio Montefoschi, Il corpo, ermöglichte: Übersetzt wurde er von einer Gruppe von Studierenden von der Universität Utrecht unter Koordination des Unterzeichneten. Außerdem wurde die Ausgabe – nicht jedoch die Übersetzung – einer neuen Version der Göttlichen Komödie von Herman Jansen unterstützt. Ein anderer sehr wichtiger Klassiker ist Petrarcas Canzoniere Rerum vulgarium fragmenta , von Peter Verstegen in Reimen übersetzt. Er war bereits zusammen mit Ike Cialona durch seine Version von Dantes Poem in Terzinen aufgefallen (2000).
Nicht übersetzte Texte
Ein anderer Blick auf die Übersetzungen aus dem Italienischen gilt den Büchern, die nicht übersetzt wurden: eine Übersicht ex negativo, die sehr viele Werke enthält, die eine Übersetzung verdient hätten, aber nicht von den Verlagen und Übersetzern berücksichtigt wurden oder ihrer Aufmerksamkeit entgingen. Aus Platzgründen beschränken wir uns hier darauf, einige recht erfolgreiche Schriftsteller in Italien zu erwähnen, die seit den frühen 80er Jahren tätig waren.
Die Niederlande haben viele Bücher von Giorgio Pressburger ignoriert wie Nel regno oscuro und Storia umana e inumana, die beide von Dantes Komödie inspiriert sind. Nur die frühen Titel dieses Autors (und seines Zwillingsbruders Nicola) wurden übersetzt, während der reife Pressburger unbekannt blieb. Ähnliches gilt für Sebastiano Vassalli, der auf Niederländisch nur mit Das Gold der Welt, Die Hexe aus Novara, Der Schwan und La notte del lupo bekannt ist, und für Roberto Pazzi, von dem nur die ersten drei Romane übersetzt wurden (Cercando l’imperatore, La principessa e il drago und La malattia del tempo). Schließlich möchte ich gern an Autorinnen wie Giacoma Limentani, Clara Sereni, Lia Levi und Edith Bruck erinnern, Protagonistinnen der italienisch-jüdischen Literatur, die noch auf ihre Übersetzung warten. Diese äußerst kurze und unvollständige Übersicht zeigt deutlich, dass es nicht immer Kriterien der literarischen Bedeutung sind, die den „Übersetzungsmarkt“ leiten.
Eine nicht zu rosige Zukunft: Momentaufnahme oder Fehlalarm?
Der derzeitigen Übersetzungssituation war vor Kurzem ein langer Artikel von Toef Jaeger gewidmet, „I traduttori sono i canarini nella miniera“ („Übersetzer sind die Kanarienvögel im Bergwerk“), der am 8. April 2022 In der renommierten Tageszeitung NRC-Handelsblad erschien. Zum Abschluss einer Reihe von Interviews mit Übersetzenden und mit Tiziano Perez, dem Leiter des Letterenfonds, stellt Jaeger fest, dass Literaturübersetzungen in einer sehr schwierigen Phase sind, trotz einer Steigerung der verkauften Bücher in den Niederlanden um 5 % und eines Gesamtbetrages von ca. 2 Millionen Euro, die zur Unterstützung von Übersetzungsprojekten investiert werden. Nicht wenige Literaturübersetzer wechseln in andere Berufe. Laut ELV wird seit zehn Jahren weniger übersetzt und aus weniger Sprachen, was zur Folge hat, dass sich eine „wenig fruchtbare Literaturlandschaft durchsetzt, in der nur die populärsten, am besten verkäuflichen Produkte, die aus einer geringeren Zahl von Sprachen übersetzt werden, in unserer Sprache erhältlich sind“. Dieses Phänomen betrifft auch das Englische, denn immer mehr Niederländer kaufen und lesen englische Bücher in der Originalversion, die dank Internet, der Megabookshops wie Amazon usw. günstig zu erhalten sind. Zu dieser Entwicklung hat auch Covid 19 seinen Teil beigetragen. Gleichzeitig nimmt die Zahl an Rezensionen über Literaturübersetzungen in den Tageszeitungen ab, parallel zum Rückgang der Literaturbeilagen. Während 2010 unter den hundert meistverkauften Büchern noch 15 Literaturübersetzungen waren, ist die Zahl 2021 auf 2 gesunken (in den letzten Jahren vor der Pandemie waren es 5 oder 6).
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation in den kommenden Jahren entwickelt. Es handelt sich nicht nur um einen Rückgang der Literaturübersetzungen und der Zahl an qualifizierten Übersetzer/-innen. Man muss auch die Tatsache bedenken, dass die Vergütung der Übersetzungstätigkeit (ob unterstützt oder nicht) weder die kollektiven Arbeitsverträge noch die Inflation berücksichtigt. Auch in den Schulen geht die Literatur stark zurück und leidet unter der Konkurrenz von Kanälen wie Netflix, Disney, HBO und allem anderen, was Smartphones bieten können. Ohne eine Reihe von Maßnahmen zur Unterstützung der Literatur scheint das Interesse für gute Literatur in Übersetzung gefährdet zu sein. Aber wenn auch die Bibel noch heute übersetzt, gelesen und studiert wird, seit zweitausend Jahren, bleibt noch etwas Hoffnung …